Das Maß ist voll. Jetzt muss ich mich in diesem Blog einmal politisch äußern.
Als junges Mädchen habe ich mich gefragt, wie ich gehandelt hätte, wenn ich die schleichende Machtübernahme der Nationalsozialisten erlebt hätte. Wäre ich ihnen mit fliegenden Fahnen hinterher gelaufen und hätte alles dafür getan, dem Führer ein Kind zu schenken und dafür das Mutterkreuz verliehen zu bekommen? Hätte ich stillgehalten und gehofft, dass es nicht so schlimm wird? Oder wäre ich aufgestanden und hätte Flagge gezeigt.
Wer mich kennt, weiß um meine politische Einstellung. Wir waren gemeinsam bei Ostermärschen und bei der legendären Großdemo im Bonner Hofgarten. Jahrelang habe ich mir mit meinem Button „Ich bin Ausländerin – fast überall!“ fiese Löcher in meine T-Shirts gepiekt. Als ich vor einiger Zeit in der Zeit las, dass ein Firmenchef aus Efferen der AfD im Jahr 2016 unfassbare 49.999,99 € gespendet hatte, regte ich mich ziemlich auf. Der Mensch war mir zwar schon vor 20 Jahren unsympathisch, als ich ihn als den Arbeitgeber eines Freundes kennenlernte. Aber dass da direkt um die Ecke in meinem Heimatort jemand war, der sooooo viel Geld für diese Partei locker machte, gruselte mich. Danach kamen die Einschläge der AfD dichter…
Ich erziehe meine Kinder zu weltoffenen Menschen und mir wird flau, wenn ich mir vorstelle, dass sie unter einer AfD-geführten Regierung nur heterosexuell & verheiratet etwas wert wären, ein Großteil ihrer Freunde und Freundinnen „remigriert“ worden wären, es keine Pressefreiheit mehr gäbe, sie nicht mehr in einem geeinten Europa leben würden und Russland ein enger Bündnispartner wäre.
Bibo hat es schon vor zwei Wochen gemacht, doch nach Köln zur großen Kundgebung mit 70.000 Teilnehmern zu fahren, hätte mich überfordert.
Doch heute passte alles perfekt: eine kleine Kundgebung hier in Hürth mit geplanten 1500 Teilnehmern. Das traute ich mir und meiner Menschenscheuheit zu, trotz Knieverletzung und Drehschwindel. Ich ging davon aus, allein dort zu stehen. Zwar war das Papawochenende geplatzt, aber die Kinder könnten ja so lange bei Oma bleiben.
Pustekuchen!
Alle wollten mitkommen.
So hatte ich mir das gar nicht gedacht. Ist meine Mutter nicht viel zu alt für eine Demo? Und darf ich bei gemeinsamem Sorgerecht mit einem AfD-Mitglied die Kinder überhaupt zu einer Kundgebung gegen „seine“ Partei mitnehmen? Na gut, allein zuhause lassen konnte ich sie ja auch nicht und sie wollten unbedingt mit.
Wir staunten schon auf dem Hinweg. Aus allen Richtungen strömten Fußgänger und Radfahrer zusammen, viele mit selbst gebastelten Plakaten und Kindern im Bollerwagen. Auf dem Otto-Räcke-Platz vor dem Rathaus traf sich ganz Hürth zu einem Familienfest gegen rechts.
Ich traf einen alten Schulkollegen, befreundete Mütter, DRK-Kollegen und andere Menschen, die ich ewig nicht mehr gesehen hatte. Die Kinder begrüßten gleich ein Dutzend ihrer Schulkollegen. Meine Mutter sprach mit alten Bekannten aus dem DRK, den Naturfreunden, der Politik und der Nachbarschaft.
Stefan Brings sang – und wir grölten mit. Bei einem der nächsten Sänger, Gero Kuntermann, riefen meine Zwillinge: „Das ist Franzis Papa!“ (sie spielen zusammen Basketball). Sie entdeckten ihre Schulleiterin, wussten den Namen unseres Bürgermeisters und ließen sich erklären, was ein Nazi ist. Sie bewunderten die beiden jungen Mädchen, die sich trauten, vor so vielen fremden Menschen „The answer my friend“ und „Imagine“ zu singen. Cari war von ihrer Übernachtungsparty so müde, dass sie auf meienm Arm einschlief, obwohl ich ihr beim Singen genau ins Ohr dröhnte.
Nach anderthalb Stunden bei Dauernieselregen war das gut organisierte Programm vorbei und alle gingen mit einem Gefühl der Zugehörigkeit und Stärke nach Hause.
Nun bleibt zu hoffen, dass diese Stimmung sich ihren Weg in die Herzen der Menschen bahnt und alle zur Wahl gehen, um einem weiteren Erstarken der AfD entgegenzutreten.
Ich habe soooo gelacht bei dem Plakat
A uf keinen
F all
D igga!
Große Lyrik, ein Akrostichon vom Feinsten
Genau deshalb habe ich von den vielen tollen Plakaten auch genau dies ausgewählt. Es ist wirklich gelungen.
Schade, dass wir so weit weg wohnen. Das wäre eine gute Gelegenheit gewesen, sich zu treffen. Bei uns war es ähnlich: Dauernieselregen, gute Stimmung und das Gefühl, dass es wirklich höchste Zeit wurde, selbst aktiv zu werden.
Egal wo, wir haben doch alle dieses Wochenende gemeinsam demonstriert. Der Blick auf die gut gefüllte Landkarte (und die Insellage von Güstrow…) macht mir immer noch eine Gänsehaut.
Wir haben mit Euch demonstriert – in Kappeln 🙂
Obwohl es mir auch nicht leicht fällt, ich kann diese Vibes, die von (selbst gut gelaunten und friedlichen) Menschenmengen ausströmen, kaum ertragen und kämpfe ununterbrochen mit den Tränen.
Aber: wat mutt, dat mutt!
Chakka!! 🙂
Großartig! Damit zeigen wir uns doch selbst, wie wichtig uns die Demokratie ist. Andere sind gestern und an anderen Demotagen zuhause geblieben, obwohl sie eigentlich sooo gerne mitgemacht hätten, aber leider war ja das Wetter nicht optimal oder sie erwarteten Besuch…
Danke für diesen tollen Text. War schön euch nach so langer Zeit wieder sehen gesehen haben. Liebe Grüße nochmal an Gerda..
Dein Text hat allen gezeigt Hürth ist und das sollte es auch bleiben. Für alle und jeden.
Genau so ist es.
Meine Mutter lässt auch zurück grüßen. Ihr hat eure Begegnung sehr gut getan und sie hat noch lange über „die alten Zeiten“ gesprochen.
Das freut uns sehr.
Du hast es toll in Worte gefasst. Toll das doch trotz Nieselregen so viele gekommen sind.
Mach weiter so, es macht Spaß deine Beiträge zu lesen.
LG Manuela
Liebe Manuela, vielen Dank für deine netten Worte.
Und schön, dass du jetzt auch mitliest <3
Hach ist das schön. Zu der familiären veranstaltung hätte ich ja auch noch mitkommen können, trotz Demophobie.
Ja, es war zwar gut gefüllt, aber nie so eng, dass wir es mit der Angst zu tun bekommen hätten. Perfekte Anfänger-Kundgebung.