Allerorts wird auf Ausländer geschimpft. An manchen Tagen bin ich des Diskutierens müde.

So auch an den Karnevalstagen, an denen angebliche Karnevalsjecke sich darüber beschweren, dass „die Ausländer“ unmaskiert am Zugweg stehen. Sie halten mir vor „Es gibt auch arme deutsche Kinder!“, wenn ich nach den Zügen unseren Überfluss an Kamelle und Spielzeug zur Flüchtlingshilfe gebe. Sie schauen mich schief an, wenn ich einem Wagenengel mit afrikanischen Wurzeln ein Taschentuch reiche, weil er einen Nießanfall hat. Sie sagen „Die wulle us he nur de Kamelle wegschnappe, sin sich ever zu schad, nach dm Zoch mit in de Weetschaaft ze jonn!“ Wenn ich dann frage, ob sie den Text verstanden haben, als sie vorhin „Drink doch ene met!“ gegrölt haben, kann ich mir einer rüden Bemerkung sicher sein.

Leute! Wisst ihr eigentlich wovon ihr sprecht bzw. lallt?

Im Burbacher Zug stand ich neben einer unkostümierten Familie aus dem Irak. Sie waren erst Anfang des Monats aus Bayern nach hier gezogen und hatten keine Ahnung, was da grade mit den sonst so ernsten und distanzierten Deutschen geschah. Aurelia gab dem etwa gleichaltrigen Sohn einen ihrer Sammelbeutel und erklärte ihm, dass die Leute hier im Zug die Bonbons verschenken. Einfach so. Fürsorglich fragte sie, ob er denn den geworfenen „Speck“ auch essen darf und er erklärte ihr, dass er Christ ist. Also teilten die beiden Speck und Chips, Flummis und Kaubonbons. Die ganze irakische Familie amüsierte sich köstlich. Mutter und Tochter überlegten, wie sie sich im kommenden Jahr selbst verkleiden könnten. Am Ende bedankte sich der Vater ganz herzlich bei mir für den netten Kontakt. „Sie sind eine wunderbare Inländer!“ sagte er und korrigierte sich sofort: „…eine wunderbare Mensch!“ Ich konnte das Kompliment nur zurück geben.

Am Rosenmontag bin ich erneut einem ganz wunderbaren Menschen begegnet.

Und das kam so: Vorige Woche hatte ich  unseren TFK Jogger bei eBay Kleinanzeigen angeboten. Am Sonntagvormittag erhielt ich dazu eine Anfrage: „Guten Tag. Haben Sie Ihre Kamera verloren? LG Georgi“, gefolgt von einer Telefonnummer mit georgischer Vorwahl. Bei aller Skepsis gegenüber Rufnummern, bei denen es bestimmt sehr teuer wird, wenn ich sie anrufe, schaute ich kurz in meinem Regal nach und stellte fest, dass die Kamera wirklich nicht da war. Also antwortete ich und es stellte sich heraus, dass Georgi meine Kamera am Sonntagmorgen in der Nähe der Bahnhaltestelle Kiebitzweg gefunden hatte, als er von Erftstadt nach Köln zur Arbeit radelte. Dort hatte er sich die Erlaubnis seines Chefs eingeholt, nach dem Verlierer zu suchen. Er machte sich die Mühe, die letzten Fotos auf der Kamera mit Fotos bei eBay Kleinanzeigen zu vergleichen, weil er das Gefühl hatte, ich könnte diese Sachen zum Verkauf fotografiert haben. Tatsächlich wurde er bei dem Buggy fündig und schrieb mich an. Wir verabredeten uns für Rosenmontag um 7:30 Uhr zur Übergabe der Kamera an unserem McDonalds und er wollte nicht einmal den Finderlohn annehmen. Ich musste ihn wirklich bequatschen, denn er hatte ja auch viel Zeit und Energie in die Suche gesteckt.

Tja, das ist auch so einer von den „Ausländern, die nicht wissen, wie man richtig Karneval feiert“. Er ist ja noch schlimmer als die Kamellewegschnapper und Nichtmitindiewirtschaftgeher. Er stellt sich nicht einmal an den Karnevalszug. Der will sich wohlmöglich gar nicht integrieren.

Nein. Davon ist nicht auszugehen. Er spricht ein nahezu perfektes Deutsch. Statt sich um Bonbons zu schlagen und voll laufen zu lassen, arbeitet er. Jeden Tag, auch Sonntag und Rosenmontag von 8 bis 20 Uhr. Er betreut einen Behinderten zwölf Stunden pro Tag und fährt mit dem Rad von Erftstadt bis Köln. Wann sollte er Karneval feiern? Bei solch einem Pensum würde ich nach Feierabend auch eher die Nähe meines Bettes suchen.

გმადლობ!  Gmadlob! Danke, lieber Georgi, ich freue mich riesig. Es müsste mehr Menschen wie Sie geben. Egal ob sie aus Georgien, Gabun, Grönland oder Gremberghoven kommen.

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Sie macht das sehr konzentriert und gewissenhaft
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„Helfen“ kann sie auch schon sagen

Wir brauchten noch den ganzen Montag, um zu rekonstruieren, wie die Kamera in seine Hände gekommen sein könnte. Am Ende stand fest: Wir hatten ja am Samstag fleißig Sand in die Fugen in unserem frisch gekärcherten Hof gekehrt. Weil Aurelia und Nele so fleißig halfen, hatte ich sie fotografiert und die Kamera nach Gebrauch „kurz“ auf dem Dach des Autos meiner Mutter abgelegt. Dort hatte ich das Gerät vergessen, rote Kamera auf roten Auto eben. Auch unzählige Karnevalisten auf dem Weg zur Bahn hatten sie wohl nicht gesehen oder waren ehrlich genug, sie einfach liegen zu lassen. Als meine Mutter dann am Sonntagmorgen gegen 7 Uhr zur Arbeit fuhr, konnte sich die Kamera bis zur Bahnstraße noch auf dem Dach halten. Dort in der Kurve wirkten aber bei ihrem rasanten Fahrstil zu große Fliehkräfte – die Kamera fiel zu Boden. Aus gutem Grund hatte ich mich ja für eine robuste Outdoorkamera entschieden, sie überstand daher den Sturz unbeschadet und konnte dem ehrlichen Finder einiges über seine Eigentümerin verraten, z.B. dass ich einen Buggy verkaufen will. Als um 7:30 Uhr Georgi diese Stelle passierte, war er der erste, der sich der armen einsamen Kamera annahm.

Anders kann es nicht gewesen sein.

Was für ein Glück! Dem Himmel sei Dank für so viele ehrliche Menschen und für diesen Zufall.

 

7 thoughts on “გმადლობ! Gmadlob! Danke, Georgi!

  1. SOLCHE Geschichten sollten mal die Runde machen…aber ja ich kenne das auch. Dieses „anreden“ gegen besorgte Bürger. Aber das hat meinen Bekanntenkreis etwas eingedampft. Am Anfang habe ich versucht sie zu überzeugen, aber sie wollen sich nicht überzeugen lassen. Also lasse ich es.

    Danke für den aufmunternden Artikel.

        1. Unglücklicherweise wird auch hier Karneval gefeiert, der Zug geht am Sonntag und auch wenn er der größte Norddeutschlands ist, im Vergleich zu Köln oder Düsseldorf tröpfelten da ein paar Wagen durch die Strassen.
          Die „braunschweiger“ sind sehr Stolz auf ihren Schodouvel .*augenroll*

  2. Wieder einmal Begegnungen wie ich sie mag und wie sie häufiger stattfinden könnten, wären die Menschen offener. Herzlichen Dank für den Einblick in Deine Gedanken liebe Ingrid!!!!

    Liebe Grüße an eine Familie, die eine tolle Zukunft mit schreibt.
    Elke

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