„Tschö, ich gehe alleine in meine Klasse!“ sagt Nele, drückt mir noch einen Kuss auf die Wange und lässt mich vor dem Schuleingang stehen.

Cari geht ja schon seit einem Jahr allein „zur Arbeit“. Aurelia schaffte es seit einigen Monaten auch zwei oder drei Tage pro Woche. Heute teilt sie mir dann auf der Heimfahrt mit, dass sie keinesfalls (!) in die Klasse gebracht oder abgeholt werden will, weil das ja nur etwas für Hätschelkinder sei. Ich hinterfrage nicht, woher sie diesen Begriff hat, sondern bestätige nur mit „Alles klar!“.

Zack, sind sie alle groß.

Prima!

Naja, noch nicht in allen Lebensbereichen, aber in einem ganz wichtigen.

Die Zeiten heute sind anders als in meiner Kindheit. Für mich war es ab dem ersten Schultag selbstverständlich, allein oder mit Freunden zur Schule zu laufen. Ab meinem vierten Lebensjahr fuhr ich mit dem Dreirad (später Kinderrad) allein Brötchen kaufen. An den jeweils ersten Tagen war mir dabei sehr mulmig, daran kann ich mich auch noch nach Jahrzehnten erinnern. Aber ich war auch jedes Mal sehr stolz auf mich, wenn ich es ohne Verlaufen oder Unfall schaffte.

Auch wenn ich die Schule meiner Kinder sehr schätze, bekomme ich morgens immer ein komisches Gefühl, wenn sogar noch Fünftklässler von ihren Müttern in den Klassenraum gebracht und an ihren Platz begleitet werden.

Umso glücklicher bin ich darüber, dass meine Mädels sich so sicher fühlen, dass sie allein gehen wollen. Das hat nichts damit zu tun, dass ich zu faul bin, sie zu bringen oder eilig zur Hunderunde starten will. Ich halte es für wichtig, dass ein Kind seine Wege auch allein gehen kann, sobald es sich dies zutraut.

Das kann bei einem Sonnenschein wie Cari schon mit drei Jahren der Fall sein. Oder bei Nele, die immer genau weiß, was sie will, nun mit vier Jahren. Oder bei einer ängstlichen Aurelia eben erst mit sieben Jahren und nach intensivem Üben.

Denn ihr Mut kommt nicht von ungefähr: In St. David’s hatten wir eine Wohnung genau über einem Fish’n Chip Shop und dem Tante Emma Laden unseres Vermieters. Wenn Aurelia tagsüber Lust auf Trauben, Wurst oder Fisch hatte, durfte/musste sie allein runter gehen. Oma redete sich damit heraus, dass sie ja jeweils einmal dabei gewesen war, um den Weg zu erkunden und nun ohnehin nicht helfen kann, weil sie kein Englisch spricht. Mit pochendem Herzen ging Aurelia beim ersten Mal los, an der Hand die beiden Schwestern, die sie mit „wir sind doch dabei und helfen dir“ zu beruhigen versuchten. Als sie am Ende wirklich mit Trauben UND Erdbeeren aus dem Laden kamen, platzten alle vor Stolz und Selbstvertrauen. Von nun an ging Aurelia allein oder mit den Kleinen diesen Miniweg, der einige Wochen später sogar bis zum Schulweg ausstrahlt.

Von den nicht stattgefundenen tränenreichen Verabschiedungen am ersten Schultag in den neuen Klassen habe ich natürlich kein Foto. Deshalb zeigt das Beitragsfoto meine beiden frischgebackenen Vorschülerinnen, die beide darauf bestanden, Zöpfe geflochten zu bekommen. Bei Nele ist das ja die übliche Schulfrisur, aber bei Cari war es neu für mich – und bei den fitzelig-feinen Haaren eine ganz schön kniffelige Bastelarbeit…

3 thoughts on “Mut im Alltag

  1. Tja, ich war letztes Wochenende auf dem 30. Geburtstag meiner ältesten Nichte. Noch fragen! Ja sie werden gross und auf einmal sind sie 30 !

  2. Allein in den Kindergarten-Raum, allein zur Grundschule (bis ich krank wurde) zu Fuß oder mit dem Rad war vom ersten Tag selbstverständlich. Die Eltern durften und allerhöchstens bis zu einer gefährlichen Straße begleiten. Von uns wurde einfach mehr erwartet und uns wurde mehr zugetraut (bis ich zum kränkelnden Hätschelkind wurde).
    Allerdings gab es auch mehr Kinder, die gemeinsam zur Schule gehen konnten. Da entgeht den Kindern der Generation Mama-Taxi ein ganzes Stück Lebenserfahrung. In Versuchen konnten sie nicht einmal ihren Schulweg zeichnen oder beschreiben.
    Das eine gemachte Erfahrung und ein Erfolgserlebnis auch in andere bereiche ausstrahlt, habe ich erst als Erwachsene bemerkt.

  3. Zwei bzw. drei Zopf-Mädels wie toll!!! ☀️ Gras wächst auch nicht schneller, wenn man daran zieht! Jedes Kind ist ja, Gott sei Dank, anders. Den stolz kann ich sehr gut nachvollziehen, wenn man plötzlich etwas schafft, was vorher als fast unerreichbar galt! ‍♀️☀️

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