Meine Eltern haben Krieg, Flucht, Vertreibung und Kriegsgefangenschaft überlebt. Danach machte sich mein Vater schlau und wusste sehr viel über Krisenvorsorge, Schutzraumbau und Bevölkerungsschutz. Meine Mutter feierte vor einigen Jahren ihr 70-jähriges Dienstjubiläum beim DRK, ich bin seit meinem 22. Lebensjahr dabei: Sanitätsdienst, Betreuungsdienst, Feldküche, Katastrophenschutz, Zivilschutz, Krisenintervention, Notfallseelsorge. Das alles prägt unseren Alltag bis heute. Kein Wunder also, dass Cari Feuerwehrfrau werden will und alle drei Kinder uns immer wieder zu Erste Hilfe, Notruf und Notfallvorsorge ausfragen.
Heute Mittag ergab sich wieder eine typische Situation: Meine Mutter löste beim Anbraten des Sonntagsbratens den Alarm des Rauchmelders aus. Sofort kamen alle drei Kinder aus ihren Zimmern, die eine zerrte die Hunde ins Freie, die zweite informierte mich im Keller, drückte mir das Telefon in die Hand („Falls du die Feuerwehr anrufen musst!“) und schickte mich mit dem Feuerlöscher in Omas Wohnung. Dort traf ich auf die dritte, die gemeinsam mit der Oma die Fenster zum Lüften aufriss und mir schon eine Leiter zurechtgestellt hatte, damit ich den quietschenden Rauchmelder zum Schweigen bringen kann.
Es ist wirklich niedlich, wenn eine 121 cm große Minimaus einen solchen Einsatz koordiniert. Aber kein Grund, dies zu belächeln, sondern Anlass für ein fettes Lob.
Wir sprachen beim Mittagessen über diese Situation und überlegten, was wir gemacht hätten, wenn es wirklich gebrannt hätte. Ziemlich genau das Gleiche!
Wenn Flammen zu sehen gewesen wären, hätte sich wahrscheinlich auch eins der Kinder einen Notruf zugetraut. Darüber hatten wir nämlich schon mehrfach gesprochen, d.h. die 5 Ws sind ihnen geläufig:
- Wo ist es passiert?
- Was ist passiert?
- Wie viele Betroffene?
- Wer ruft an?
- Warten auf Rückfragen
Der letzte Punkt bedurfte einiger Übung und Aufklärungsarbeit. Bei unseren Rollenspielen haben sie nämlich anfangs immer die übrigen vier Punkte schnell ins Telefon gerufen und aufgelegt. Ihre Begründung? Die Leitung soll doch für den nächsten Notruf frei sein. Die Idee dahinter gefällt mir, aber ich konnte inzwischen erläutern, dass der Disponent in der Leitstelle vielleicht noch Rückfragen hat („Brennt nur der Adventskranz oder schon das ganze Haus?“) oder mit Anweisungen helfen möchte („Zieh dir Schuhe an und stell dich auf den Bürgersteig, um uns einzuweisen!“).
Was diese kurze Episode von heute Mittag mit der Überschrift zu tun hat, wollt ihr wissen? Sehr viel. Denn das Gespräch ging weiter. Wir nahmen also einen Vollbrand an und fragten uns, was wir bei der Flucht aus dem brennenden Haus im Vorbeilaufen (außer den Hunden) noch schnell mitnehmen würden. Uns war allen klar, dass es kein langes Suchen und Zurücklaufen geben könnte, sondern nur einen beherzten Griff.
Mit 5 x je einem Griff ständen wir vor der Tür mit:
- 1 Schulranzen (Schulzeug, Wasserflasche, leere Brotdose, Freundebuch einer Mitschülerin, Blockflöte, Haarspangen, Regenschutz, Mütze) und 1 Fahrradhelm („Ich habe ja noch keinen echten Feuerwehrhelm“)
- 1 Handtasche (Führerschein, Perso, Geldbörse, Impfpass, Taschentücher, Bonbons, Autoschlüssel, Hundeleckerli)
- 1 Wanderrucksack (Geldbörse, Papiere, Taschenmesser, Schnitzmesser, Multitool, Taschentücher, Regenschirm, Deo, 1/2 Liter Wasser, Notizblock, Stifte, Hundekotbeutel, Nähzeug, Powerbank, FFP2-Masken, Visitenkarten, DJH*-Ausweise, EH-Set, Streichhölzer, Handtuch, Welsh Dictionary, 1/2 Hanuta, rosa Textmarker, 6 Haargummis)
- 1 Rieseneinhorn aus Plüsch (120 lang), ein Plüsch-Affe und 1 Schwimmtasche (Badeanzug, Handtuch, Bürste, 2 Haargummis, Duschgel, Wasserflasche, 2 Ersatzunterhosen, 2 IKEA*-Gutscheine)
- 1 Schulrucksack (Schulzeug, Malsachen, Wasserflasche, Brief vom besten Freund, Regenschutz, Mütze, 3 Haargummis)
- 2 Smartphones, die wir grade in der Hand bzw. in der Hosentasche hatten.
Wonach würdet ihr bei einer solchen Flucht spontan greifen?
Nun würden wir also alle vor dem brennenden Haus stehen. Die nächste Frage ergab sich wie von allein: Was würde uns fehlen, wenn die Feuerwehr uns zunächst zum Durchchecken ins Krankenhaus und dann in einer Notunterkunft oder einem Hotel unterbringen würde. Wie lange? Keine Ahnung!
Die Kinder diskutierten über Zahnbürsten, Unterwäsche, Lieblingsbücher, Aurelias Ukulele, meine Harfe, Omas Rätselhefte, Caris Puppe und Neles Basketballschuhe. Sie entspannten sich, als Oma sagte: „Alle Menschen und Tiere sind gerettet. Wir haben zwei Portemonnaies dabei und können doch alles nachkaufen, was uns fehlt.“
Ich stimmte zwar zu, aber das war der Punkt, an dem ich ärgerlich wurde. Ärgerlich über mich selbst: Hatte ich mir nicht – im Juli 2021 bis zu den Knöcheln im Wasser stehend – fest vorgenommen, für einen solchen Fall vorzusorgen? Wo, bitte, waren denn in meinem „Flucht“-Wanderrucksack die wichtigen Zeugnisse, Urkunden & Papiere, Rechner & externe Festplatte, die 2021 mühsam aufgepäppelten Familienfotos? All die unwiederbringlichen, nicht nachkaufbaren Sachen wären weg. Hauptsache, ich hatte ein halbes Dutzend Haargummis und mein Welsh Dictionary dabei, um in langweiligen Wartesituationen die Weltsprache Walisisch zu üben!!!
Was würdet ihr vermissen, wenn ihr mit dem (oben erfragten) erstbesten gegriffenen Teil euer Zuhause verlassen müsstet?
Die Überschrift trägt die Nummer (I), denn wir sprechen bereits über andere Szenarien.
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