Heute möchte ich euch mal wieder etwas sehr Persönliches erzählen. Ich leide seit einiger Zeit an kreisrundem Haarausfall. Das bedeutet, dass ich an verschiedenen Stellen meines Kopfes kahle, runde Flecken habe. Zuerst war es nur eine kleine Stelle, so groß wie der Fingernagel meines kleinen Fingers. Später kamen größere Hautpartien zum Vorschein.

Entdeckt wurden die Löcher von meinen Töchtern, als ich mir einen Pferdeschwanz machte. Was mcih daran am meisten geschockt hat, war der Umstand, dass meine Hautärztin sie vier Tage vorher bei der jährlichen Hautkrebsuntersuchung nicht entdeckt hat. Und das, obwohl sie ewig in meinen Haaren herumgewühlt hat und ich am Ende der Untersuchungen immer aussehe wie ein Struppkaninchen.

Ich weiß nicht genau, warum ich diese kahlen Stellen habe, aber mein Hausarzt und die neue (!) Hautärztin vermuten, dass es etwas mit meinem Immunsystem zu tun hat. Es greift ohne erkennbaren Grund meine Haarwurzeln an. Vielleicht ist mein Immunsystem einfach zu ehrgeizig und will alles perfekt & einzigartig machen. Dazu gehört dann wohl auch eine unverwechselbare und individuelle Verteilung des Haupthaars mit hübschen Auslassungen und Lochmustern.

Spaß beiseite: Das körpereigene Immunsystem erkennt die Haare quasi nicht mehr als Teil meines Körpers an, sondern denkt, sie wären ein Fremdkörper und müssten abgestoßen werden. Das kann zunächst mit kreisrundem Haarausfall beginnen und im schlimmsten Fall wirkt sich das auf alle Haare am ganzen Körper aus.

Von dieser Krankheit stirbt man nicht, deshalb ist sie nicht sehr intensiv erforscht worden und die genauen Ursachen sind noch unbekannt. Damit fehlt leider auch der Ansatz für eine zielgerichtete Behandlung.

Gravierende gesundheitliche Ursachen konnten ausgeschlossen werden, nachdem mir wurden etliche Röhrchen Blut für Schilddrüse, Hormone, Vitamin D und andere denkbare Ursachen abgezapft worden waren und die Ergebnisse ohne Befund blieben. Übrig bleibt eine scheinbar grundlose Überaktivität des Immunsystems, die möglicherweise (!) auch (!) auf Stress zurückgeführt werden könnte (!). Wow, sehr vorsichtig formuliert von der Ärztin, für mich aber gut nachvollziehbar. Wie oft ich mir innerlich die Haare raufe, wenn mir alles über den Kopf wächst. Wie oft ich etwas vergesse und denke, dass ich in meinem Kopf mehr Löcher habe, als in einem Sieb. Kein Wunder, dass meine Kopfhaut sich nützlich machen will und die Löcher auch ohne Haareraufen bildet.

Zugegeben: gefreut habe ich mich nicht, als ich auf die ersten kahlen Stellen aufmerksam gemacht wurde. Ich hatte Sorge, dass ich alle meine Haare verlieren würde, oder dass die Leute mich komisch ansehen würden. Zum Glück ist auch der aktuell größte Fleck, er misst 6 cm, (noch) weitgehend unter meinem Deckhaar verborgen. Aber wenn ich mir einen Zopf mache, überlege ich schon manchmal, ob ich jemanden mit dem Fleck erschrecken könnte.

Im Winter waren natürlich auch Mützen eine gute Lösung. Nicht so sehr, um das Loch zu verbergen. Aber mir war gar nicht klar, wie warm mich meine Haare halten, bevor mir bei einer Winterwanderung an den haarlosen Stellen die Kopfhaut vor Kälte prickelte. Im Sommer werde ich wohl zum Schutz vor Sonnenbrand häufiger einen Hut oder ein Tuch tragen müssen.

Verstecken wollte ich den Haarausfall nie und mache auch im Alltag kein Thema daraus. Wenn ich darauf angesprochen werde, gehe ich offen damit um und höre mir geduldig an, was mein Gegenüber zu sagen hat. Und ich sags euch: Jeder, der es sieht, spricht mich darauf an. Ungefragt, zum Teil sogar unbekannt. Eine Nachbarin machte einen Friseurtermin für mich aus, ohne vorher zu fragen. Eine mit unbekannte Kundin in der Supermarkt-Warteschlange riet mir zu Packungen mit Ahrweintrester. Eine befreundete Ärztin riet mir dazu, die Haare ganz kurz zu schneiden, um die verbleibenden Haare zu schonen. Der Mann einer Freundin, ebenfalls Arzt, hielt mir beim Stichwort „Stress“ einen längeren Vortrag darüber, dass gar nicht klar ist, ob Stress nun Ursache, Grund oder Trigger für Kreisrunden Haarausfall ist, bis es keiner mehr am Tisch aushielt und seine Frau beherzt das Thema wechselte..

Eine Bekannte, die ich im Buchladen traf, zog mich bestürzt in die Ecke mit den Ratgebern für Krebspatienten und versprach, mich nach der Chemo zu besuchen. Eine andere Bekannte riet mir zu Packungen mit dem Paste des Yuzu-Tees bei gleichzeitiger Chaga-Kur mit 450 ml Chaga-Tee morgens, mittags und abends. Unter der Dusche im Schwimmbad hielt mir eine Fremde einen langen Vortrag darüber, wie der beste Freund ihrer Cousine seinen Haarausfall in den Griff bekommen hat („…er hatte es ganz schlimm, sogar auf der Brust und im Schritt gingen ihm die Haare aus… …erst nach über einem Jahr mit täglicher Eigenurinbehandlung ging er zum Arzt…“) Hilfe, too much information! Wie bekomme ich diese Bilder wieder aus dem Kopf???

Mir wurden Haarwurzel-Untersuchungen, Cannabis-Einreibungen, Pferdesalbe, Guano, Spritzen, Schellack-Packungen, Transplantation, Aufklebe-Haarteile und Eigenblutbehandlungen empfohlen. Danke auch (an Unbekannt) für die Pferdesalbe in meinem Briefkasten.

Natürlich versuche ich, gelassen und dankbar zu reagieren. Da macht sich jemand Gedanken und möchte helfen. Aber leicht fällt es nicht, denn innerlich halte ich das für übergriffig. Hier stimmt der Spruch „Ratschläge sind auch Schläge“ und es steigt der Stresspegel, obwohl ich ihn ja dringend senken muss, um Linderung erreichen zu können.

Denn ‚mal ehrlich: Könnt ihr euch entspannen, wenn jemand euch sagt, dass ihr euch dringend entspannen müsst? Bei mir führt das nur zu weiterer Anspannung.

Immerhin habe ich bei diesen Gesprächen gelernt, dass es einige berühmte Persönlichkeiten gibt, die auch an kreisrundem Haarausfall leiden oder gelitten haben, wie zum Beispiel Gandhi, Neymar, Tyra Banks (ein Supermodel) oder Jada Pinkett Smith (wegen ihr gab es den Ohrfeigen-Skandal bei der Oscar-Verleihung). Ich bin also in guter Gesellschaft, auch wenn ich die beiden Damen gar nicht kannte.

Nein, ich werde nun nicht anfangen, mich mit anderen Betroffenen auszutauschen, zum Beispiel in Online-Foren oder Selbsthilfegruppen. Ich weiß ja jetzt, dass ich nicht allein bin und solche Treffen in meinen ohnehin schon viel zu vollen Terminkalender zu packen, würde ja nur noch mehr Stress bedeuten.

Die neue Hautärztin riet mir: „Verfallen Sie nicht in Panik und googlen Sie bloß nicht! Bei der Hälfte meiner Patienten wachsen die Haare auch ohne Behandlung innerhalb eines Jahres wieder nach.“ So ganz habe ich den Rat nicht befolgt, denn ich wollte wissen, wer Tyra Banks, Jada Pinkett Smith und Chaga sind. Aber von einer ausführlichen Internetrecherche zur Erkrankung habe ich tatsächlich abgesehen.

Also heißt mein Plan „Abwarten und Tee trinken“.

Und das wirkt wohl, denn gestern hat meine Tochter stolz verkündet, dass sie auf meinem größten Kreis die ersten feinen Härchen entdeckt hat. „Mama, die sind ganz weiß, nicht braun, nicht grau! Jetzt hast du dreifarbige Haare wie ein Australian Shepherd, wie SCHÖÖÖN!“ Hach, ja, wirklich schön, mit einem Hund verglichen zu werden, noch dazu mit solch einem hübschen!

4 thoughts on “Kreisrunder Haarausfall

    1. Tja, dann habe ich die übrigen Haare ja wieder perfekt gekämmt gehabt.

      Nee, Kokosnussöl hat noch niemand erwähnt, stelle ich mir aber auch irgendwie sehr fettig-ecklig vor. Hast du damit gute erfahrungen gemacht?

  1. Übergriffig, ja. Nicht unbedingt die Tipps. Aber auf jeden Fall der Friseurtermin und Co
    Bäh!
    Gratuliere zum (demnächst hoffentlich vorgestellten) Hunde-Outfit *gg*

  2. Liebe Ingrid,

    den Vergleich mit dem Australian Sheperd finde ich schön, weil es auf darauf hinweist, wie sehr besonders, liebenswert und kraftvoll du bist. Du hältst deine Familie echt toll zusammen! Wenn ich dir mich und einen Püngel Zeit anbieten kann zum Entspannen der Haare sowie der Frau dadrunter, lass es mich wissen. ich umarme dich. Willkommen im Kreis der Silberköpfe

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