Bei einer unserer letzten Recherchewanderungen haben Nele und ich am Fuß des Großen Oelbergs ein besonderes Naturphänomen entdeckt. Auf einem kleinen Stück Totholz wuchs etwas Unbekanntes: weiß, luftig-leicht, fluffig und geheimnisvoll. Wir rätselten: Ist es ein Pilz? Wuchsen dem Stock Haare oder Flügel? Wollte er uns vielleicht sogar die Wanderung mit etwas Zuckerwatte versüßen. Beim Wandern mit Kind sind die Grenzen zwischen Wissenschaft und Fantasie herrlich durchlässig.

Am Ende stand – wie meist im Leben – ein Kompromiss: Wir erforschten die rationalen Gründe für dieses Schauspiel und benannten es mit dem fröhlichen Fantasienamen Wald-Zuckerwatte.

Damit ihr sofort wisst, was ihr seht: Es ist weder ein Pilz, noch Müll. Landläufig wird es Eiswolle oder Haareis genannt, auch sehr schöne Namen, oder?

Wie entsteht Haareis oder Eiswolle?

Schon seit Jahrhunderten wird dieses Naturphänomen beschrieben und bestaunt. Es ist nur selten zu beobachten, denn es müssen ziemlich viele Faktoren zusammenkommen, um Haareis zu bilden:

  1. Hauptdarsteller ist stets ein toter Ast eines Laubbaums
  2. Zuerst muss es ein bis zwei Tage viel geregnet haben
  3. Anschließend muss die Temperatur anschließend um den Gefrierpunkt fallen
  4. Es muss windstill sein
  5. Benötigt wird eine hohe Luftfeuchtigkeit
  6. Wenn dann die Temperatur knapp unter null Grad fällt (nicht zu tief), kann es zu einer ganz besonderen chemischen Reaktion kommen

Was passiert denn dann?

Während des regnet, saugt sich der abgestorbene Ast mit Wasser voll. Wenn Wasser friert, dehnt es sich aus. Im Holz ist kein Platz für die Ausdehnung, also wird das Eis durch die Tracheen aus dem Holz gedrückt. Und das geht enorm schnell: so lange genug Wasser im Holz nachfließt, wachsen die Haare 5 bis 10 Millimeter pro Stunde. Sie sind hauchdünn, teilweise nur 0,02 Millimeter dick. Bleiben Temperatur und Luftfeuchtigkeit stabil, werden die Eishaare 3 bis 10 Zentimeter lang.

Das Besondere an Haareis ist, dass es nicht (wie eine zufrierende Pfütze) von allen Seiten oder (wie ein Eiszapfen) an den Enden friert, sondern nur in eine Richtung, nämlich vom Totholz weg wächst. So sieht es also wirklich fast so aus, als würde Zuckerwatte von innen aus dem toten Ast gedrückt.

Es wächst vorwiegend nach oben. Und das kommt so: Wasser hat ja seine geringste Ausdehnung gar nicht am Gefrierpunkt, sondern bei 4 Grad Celsius. Sinken die Temperaturen also unter 4 Grad, dehnt es sich wieder aus. Weil es auf der Oberfläche den geringsten Widerstand hat, drückt es nach oben durch die feinen Risse und Tracheen (Röhrchen) im Totholz.

Sobald es wärmer oder windig wird, ist das Schauspiel vorbei. Oder – in unserem Fall – wenn der Wanderhund daran schnuppern will…

2 thoughts on “Wald-Zuckerwatte

  1. Ich habe es noch nie gesehen. Raureif kenne ich und Eisblumen, Von Haareis weiß ich, dass es das gibt, aber bislang immer nur auf Fotos gesehen.

  2. Ich habe es oft schon auf Fotos gesehen, nie live – und Dank euch weiß ich jetzt auch, wie es entsteht. Tolle Recherche! Habe echt was gelernt. Und ehrlich: von wegen Totholz: was dieses Stück Holz noch alles kann!

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