Heute war ich in Köln unterwegs, es muss ja doch noch das eine oder andere Teil eingekauft werden, bevor wir nach Mallorca fliegen. In Deutz beobachtete ich folgende Szene:
Auf einem Gehweg parkt ein DHL-Lieferwagen. Zwei alte Damen nähern sich. Die eine schiebt einen Rollator, die andere zieht einen dieser Einkaufsroller, die schon meine Oma hinter sich herzog – also quasi die Vorläufer der Reisekoffer mit Teleskopgriff. Die Rollatorfahrerin hat wohl auch Probleme mit den Augen, denn ihre Freundin bremst sie mit den Worten: „Pass opp! Do steit däm Postbote sing jääles Auto!“
Mir ging das Herz auf. Wäm-sing-Genitiv, wenn ich ihn höre, weiß ich, dass ich in Köln bin und mir wird warm ums Herz. Aus zwei Gründen:
(1) Ich mag diese dreckige, laute, hässliche, große Stadt mit ihrem von Fremden oft als plump empfundenen Dialekt. Wann immer ich auf der A4 von Osten kommend bei Bergisch Gladbach und von Westen kommend auf Höhe des Restplatzes Frechen den Dom sehe, gröhle ich im Auto „Isch möösch ze fooß noh Kölle jonn“, „Viva Colonia“ und „Kölle is e Jefööhl!“
(2) Ich mag den Genitiv. Nicht erst seit Herr Sick festgestellt hat, dass „der Dativ dem Genitiv sein Tod“ ist. Schon immer. Manchmal überlege ich, ob ich vielleicht nur deshalb Jura studiert habe. Denn Juristen können so herrlich lange Schachtelsätze bilden, die mit Dativ und Akkusativ vielleicht noch annähernd verständlich wären, aber durch Einsatz des Genitivs nur noch abgehoben klingen. Beim Genitiv kommen sich Genie und Wahnsinn sehr nahe.
Grade erst las ich bei den Rückläufern zu „Eifel mit Kindern“ auf einem Begleitschreiben eine handschriftliche Notiz, in der ich darüber informiert wurde, dass „die auf Seite 999 des Buches „Eifel mit Kindern“ veröffentlichten Öffnungszeiten der Außenstelle der Touristeninformation der Verbandgemeinde XY in YZ nicht mehr dem aktuellen Stand entsprechen, mithin der Überarbeitung bedürfen“.
„Aha!“ denkt sich der Normalbürger. „Hurra!“ jubelt alles in mir. Es gibt sie noch. Die echten Beamten. Die echten Juristen. Die gewissenhaften Erbsenzähler, denen keine sprachliche Verknotung umständlich genug ist, um einen einfachen Sachverhalt so zu verkomplizieren, dass es eines Fachmanns bedarf, der das dann wieder versteht und dem Laien verständlich übersetzt. Gute Juristen sind nach meiner Meinung in Wirklichkeit Übersetzer (Gesetz – Mensch, Mensch – Gesetz).
So sehr ich mich in manchen Situationen auch darüber lustig mache, so sehr liebe ich den Genitiv. Er fühlt sich korrekter, gewissenhafter und irgendwie faszinierender an ein deutlich plumper daher kommender Dativ.
Am genitiv erkennt man auch die wahre Eleganz der kölschen Sprache. Man weiß um den Genitiv, bildet ihn aber anders als andere Deutsche. „Des Postboten Auto“ ist veraltet, „Das Auto des Postboten“ wäre zu korrekt, „Das Auto vom Paketboten“ wäre zu plump formuliert. Also behilft sich der Kölner mit dem so genannten Wäm-sing-Genitiv: „Dat is däm Postboten sing Auto!“ so wie z.B. „Dat is däm Marie sing Täsch“, „Däm Pitter deit et Föttche wieh, dä is ze vill Rad jefaahre!“ und „Sidd ühr nit däm Aurelia sing Mam?“.
Habt ihr im letzten Satz die schöne Anrede gelesen? Kein „Sie“, kein „du“, sondern ein majestätisches „ühr“ (=“Ihr“). Da soll nochmal jemand sagen, wir Kölschen wären unhöflich!
P.S.: Da ich zu jedem Beitrag ein Foto als Beitragsbild benötige, habe ich euch „et Cari met däm Aurelia sing Pürk“ hochgeladen. Endlich hat das arme Kind ‚mal ordentlich Haare auf dem Kopf, dazu hat sich die große sogar für einige Minuten von Ihrer Elsa-Haarpracht getrennt!
Der Niederrheiner kann das auch. Wir sind ja „nur“ zugezogen und am Anfang hat sich meinen Eltern bei Sätzen wie „dem Heinz sein Wagen“ (ich kann es nur ohne Dialekt) die Fußnägel hochgerollt aber später haben sie es geliebt wenn Hans Dieter Hüsch seine niederrheinischen Annekdoten im Fernsehen zum Besten gab.
Je älter mein Vater wird umsomehr fällt er ins „ruhpöttische“…. Back to the roots