Meine lieben Freunde in England, Wales und Schottland,
momentan ist viel über euch in den Medien zu lesen und zu hören. Vieles davon ist so unerwartet, dass keiner so recht damit umzugehen weiß. Für mich ist faszinierend, wie eng ich mit euch verbunden bin:
1.) Ich bin betroffen, aber nicht erstaunt über den Ausgang der Abstimmung über den Brexit. Das musste so kommen und zeigt, welch dramatische Folgen eine Kombination aus unsachlicher Stimmungsmache, Politikverdrossenheit, bewusster Fehlinformation, Überheblichkeit und Wahlmüdigkeit haben kann. Nun frage ich mich, ob für mich das Reisen nach Wales in Zukunft komplizierter wird. Vermutlich aber nicht, denn auch bislang gab es ja gründliche Grenzkontrollen bei der Einreise, besonders, wenn wir mit Hund unterwegs waren. Also freue ich mich auf meine Kurzwanderungen in Wales im kommenden Jahr und – hoffentlich auch bald – auf Recherchen für die zweite Auflage „Pembrokeshire Coast Path“ und die dritte Auflage „Offa’s Dyke Path“.
2.) Ich bin froh, dass ich keine Vorlesungen in Europarecht mehr gebe. Schon immer gab es unendliche Diskussionen über Sinn und Unsinn der Erweiterungen, des Souveränitätsverlustes und der Regulierungswut in Brüssel. Nun wüsste ich wohl nicht immer gescheite Antworten auf all die Fragen, die sich meinen Studenten stellen müssten: Wie würde wohl eine solche Abstimmung in Deutschland ausgehen? Warum wundert sich Herr Cameron über den Ausgang der Abstimmung, nachdem er selbst jahrelang die Verantwortung für alles Unangenehme auf Brüssel abgeschoben hat? Was passiert, wenn Cameron die Situation Aussitzt und einfach keine Antrag nach Art. 50 stellt?
3.) Ich freue mich riesig für Wales über den Einzug ins Viertelfinale der Fußball-EM. Nachdem ich die walisische Flagge ins Fenster
und ans Törchen gehängt hatte, haben mich mehr als eine Handvoll Nachbarn gefragt, was da für ein Fabelwesen hängt und ich musste erst einmal deren Kenntnisse in Erdkunde auffrischen. Was war denn noch gleich der Unterschied zwischen England, Großbritannien und Vereinigtem Königreich? Welche Rolle spielt Irland – oder wars Nordirland? Der Knaller war die Bemerkung „Ach, und ich dachte immer, Wales sei die französische Schreibweise vom Wallis in der Schweiz!“
4.) Seit der EM 1996 ist mein Spruch : „Ich bin für Wales und für jeden, der gegen England gewinnt!“ – Hey, Island, gut gemacht!
Hintergrund ist folgender: 1996 wanderte ich mit Stephan den Offa’s Dyke Path. Wir erreichten unser Ziel in Prestatyn am 30. Juni, dem Tag, an dem England und Deutschland im EM Halbfinale standen. Unbedarft checkten wir auf dem Campingplatz ein und wunderten uns über die vielen Engländer, die dort vor dem Fernseher saßen. Der walisische Campingplatzwart zischte uns beim Blick auf die Ausweise zu „Your are Dutch, if anybody asks!“ Die EM hatten wir total vergessen. Na gut, wenn ihm das wichtig war, machten wir eben diesen Spaß mit und verzellten dä janze Ovend Platt.
Stephan hatte ein 5 kg schweres tragbares Telefon (also den Vorvorläufer eines Smartphone) dabei und wir riefen meine Mutter an, als wir die reguläre Spielzeit beendet wähnten. Denn meine Mutter schaut gerne Länderspiele an. Unser Anruf kam aber zu früh, denn die Verlängerung hatte kein Golden Goal gebracht, es kam zum Elfmeterschießen. Kaum hatten wir eine Minute mit meiner Mutter gesprochen, brach ein lautes Stöhnen aus Dutzenden von Zelten und Wohnwagen hervor, gleichzeitig schrie sie vor Verzückung auf. 6:5 hatten die Deutschen die Engländer besiegt. Na gut, war mir ziemlich egal, ich schlief aber doch etwas entspannter als Niederländerin, denn die englischen Fans waren ziemlich sauer und versuchten ihren Frust zu ersäufen. Nie werde ich vergessen, wie uns am nächsten Morgen der Platzwart umarmte, und die Campinggebühr erstattete und sagte: „There are only two teams we support here – WALES and whoever’s playing england“