Auf meinem Wanderwunschzettel schlummerte seit Oktober eine ganz besondere Wanderung: 22 km von Lluc um den Puig Roig herum. Dass ich nicht nur einen traumhaften Wandertag erleben würde, sondern viel über meinen Schutzengel und die „Eingeborenen“ der Insel lernen würde, ahnte ich noch nicht.
Für das Buch hatte diese Tour keine hohe Priorität, weil der Weg durch das Gebiet einer privaten Finca führt, dessen Eigentümer nur am Sonntag Wanderer auf seinem Grundstück duldet. An den restlichen Wochentagen sind die Tore verschlossen. Bei den 27 Wanderungen, für die meine vom Verlag vorgegebene Zeichenzahl im Manuskript reichte, wollte ich meine Leser nicht mit einer Wanderung ärgern, die nur an einem Tag in der Woche gelaufen werden kann.
Gereizt hat mich diese Tour aber dennoch. Also nutzte ich den einzigen Sonntag dieser Reise für diese lange Tagestour. Aurelia freute sich auf den Miniclub, Oma und die Minimäuse auf den Strand. Wir frühstückten ganz früh und ich war trotz 75 Minuten Anreise schon vor 10 Uhr auf der Strecke. Der Start am Santuari de Lluc führte über eine mir aus dem Oktober bekannte Strecke am steinernen Kamel vorbei durch offene Landschaft mit weiten Blicken und ich war schon nach einem Kilometer selig, dass ich diese Rundwanderung in Angriff genommen hatte.
Wie immer, wenn ich mich hier auf Mallorca auf die in den Karten von Alpina und PublicPress eingezeichneten Pfade verlasse, verlief ich mich schon bei km 2,8 aufs Brutalste. Der am Picknickplatz noch breite ausgetretene Weg, der laut Kartendarstellung unmittelbar bis zum Einstieg in die nur sonntags freigegebene Strecke führen sollte, wurde immer schmaler und verlor sich nach etwa 600 m gänzlich zwischen bizarren Felsen und Steineichen. Ebenfalls mit der Alpina-Karte unterwegs war ein Paar aus Dänemark, das an genau dieser Stelle auch schon ratlos im Wald stand. Mir wurde die Sucherei zu blöde und ich trat den Rückweg an, auf dem ich noch drei herumirrende Niederländer und fünf ebenso ratlose Deutsche traf, die dann auch alle umkehrten. Die beiden Dänen suchten weiter und ich erfuhr bei einer zufälligen Begegnung am übernächsten Tag, dass sie nur 100 m weiter gekommen waren, bevor sie sich an einem Stacheldrahtzaun verletzte, der ziemlich gemein auf Kopfhöhe gespannt war und die Grenze eines Privatgrundstücks darstellte. Oje, die arme Frau, da war die schön geplante Wanderung schnell beendet, denn die tiefen Schnitte auf Wange und Nase mussten genäht werden. Auf meinen Schutzengel ist also immer noch Verlass, das hätte mir genauso passieren können.
Am Tor zur Finca Mossa traf ich zwei etwa gleichaltrige Männer, die sich als Angel und Cristobal vorstellten. Angel war die Runde schon vor drei Wochen gelaufen und hatte seinen Cousin Cristobal bequatschen können, ihn bei seinem zweiten Mal zu begleiten. Sie fragten, ob ich sie ein Stück begleite. Warum nicht? Wir hatten ja den selben Weg. Und die beiden waren die ersten echten Mallorquiner, die ich bei all meinen Wanderungen kennen lernte.
Angel (gesprochen: Anchel), der Engel, ist ehemaliger Telefonica-Ingenieur und hat seit seiner Entlassung wegen der erheblichen Verkleinerung der Firma viel Zeit zum Erkunden seiner Heimat. Cristobal, der seinen Namen mit Christopher übersetzte und betonte, dass sein Name noch heiliger ist als Angel, ist Informatiklehrer in Palma. Passend zum eben schon aktiven Schutzengel lief ich also nun mit dreifachem himmlischem Beistand.
Die Folgen von fünf Bypass-Operationen zwangen Christobal beim Aufstieg zu mehreren Pausen, während ich langsam aber stetig weiter aufstieg. Der arme Kerl wurde von seinem Cousin angetrieben. Angel hatte nämlich die Tour minutiös durchgeplant und die erste Rast erst für den Eselspass vorgesehen. Dort trafen wir uns wieder, weil ich mich dort für mein Picknick in den Schatten einer Kiefer setzte. Die beiden Herren amüsierten sich über die vielen Deutschen, die dort schwitzend und mit roten Köpfen in der Sonne saßen. Daran erkennen sie Deutsche, Engländer und Niederländer. Alle anderen Touristen und die Einheimischen setzen sich in den Schatten.
Schnell stellte sich heraus, dass Angel ein sicherheitsfanatischer Erbsenzähler ist. Er erklärte mir gefühlte 1000 Male, dass in baumlosen Regionen der Insel der Weg mit Steinmännchen markiert wird, die auf Mallorquin „Fita“ heißen. Meine Beteuerungen, diese Steinmännchen und auch richtig große Steinpyramiden von anderen Wanderungen auf Mallorca und aus anderen Wanderregionen Europas zu kennen, prallten an ihm ab. Nie wich er von dem mit Steinmännchen markierten Pfad weiter als 20 cm ab. Das führte zum Teil für ihn zu wüsten Klettereien, denn manchmal befanden sich die Steinmännchen eben nicht unmittelbar am Wegesrand, sondern einen halben Meter oberhalb oder unterhalb, um auch vom Weg aus sichtbar zu sein.
Als dann noch Nebel aufzog, wurde er noch vorsichtiger und erklärte mir mehrfach, wie gefährlich es doch ist, in der Tramuntana zu wandern. Noch dazu als Frau allein. Ohne Kleidung in Warnfarbtönen. Und zu allem Überfluss auf solch einer gefährlichen Strecke.
Jaja, und das auf einer allenfalls mittelschweren Wanderung, die nur sonntags gelaufen werden kann, auf der wir sogar Kinder von geschätzten 8-9 Jahren trafen und auf der ich (auch wenn ich die beiden nicht getroffen hätte) zwischen dem „Sonntagstor“ und dem Höhlenhaus stets mindestens zwei weitere Wanderer vor oder hinter mir sah, egal wie tief die Wolken um uns herum hingen. An manchen Engstellen mussten wir sogar länger warten, um Wanderer im Gegenverkehr vorbei zu lassen oder eine unverstellte Aussicht zu genießen.
Angel belustigte sich über die Turnschuhe seines Cousins, denn man müsse doch auf eine Tageswanderung auch Wanderschuhe anziehen. Der Rucksack sei kein typischer Wanderrucksack und er habe zu viele Sachen eingepackt. Ständig sorgte er sich darum, wo wir unsere Füße hinsetzen, zeigte bei jedem Abhang in die Tiefe. Oft drehte er sich dafür um und ich hatte „hoffentlich achtet er auch auf seine Schritte“ noch nicht zu Ende gedacht, als er strauchelte und etwa 1,2 m tief fiel. Zum Glück bremste das hohe Dissgras seinen Fall und ich konnte ihm schnell aufhelfen. Ich denke fast, dass all die zur Schau gestellte Bergerfahrung nur darüber hinweg täuschen sollte, dass er selbst etwas Angst vor den schmalen Pfaden hatte, vielleicht auch nicht ganz schwindelfrei und trittsicher ist. Aber korrekt ist korrekt und das zeigte sich in jeder Geste und jeder Bemerkung.
Mein persönliches Highlight war eine gemeinsame Rast. Er läutete sie uns gegenüber ein mit „10 Minuten Pause“ auf Mallorquin und Englisch. Als ob ich es nicht kapiert hätte, erklärte er mir nach einer Weile (ich vermute: nach 6 Minuten) „In 4 Minuten gehen mein Cousin und ich weiter, bist du dann auch schon so weit und begleitest uns weiter?“ Wie gut, dass er nicht sah, dass Cristobal mit den Augen rollte. Nachdem er seinen Energy-Drink nicht etwa aus der Flasche, sondern aus einem eigens dafür mitgebrachten Plastikbecher getrunken hatte, sah er erneut auf die Uhr, murmelte „Eine Minute noch“ und läutete den Aufbruch ein. Sein braver Cousin musste sich schon im Gehen den Rucksack festschnallen, um den Anschluss nicht zu verpassen,
Für mich war in diesem Moment wieder einmal ganz klar: In keiner Nation lassen sich alle Menschen über einen Kamm scheren. Diese beiden Mallorquiner haben mit einem „heißblütigen Spanier“ ebenso viel Ähnlichkeit wie ein besoffener rheinischer Karnevalist mit dem Bild des korrekten Deutschen.
Den nächsten Stopp hatten die beiden Herren an dem Höhlenhaus Es Cosconar eingeplant. Angel erläuterte mir etwa achtmal, dass Coscon im Spanischen „Beule am Kopf“ bedeutet, er deshalb vermutete, dass sich frühere Bewohner öfters den Kopf an den Felsüberhängen gestoßen haben könnten.
Für die Rast stiegen die beiden Cousins eine Treppe hinauf, um ziemlich verborgen im Schatten zu rasten. Mich fröstelte, also blieb ich vor dem Haus in der Sonne sitzen. Diesmal also eine typische deutsche Wandererin.
Christobal sah ziemlich geschafft aus, ich hatte Mitleid mit ihm, konnte es ihm aber nicht verständlich machen. Angel merkte ihm aber wohl auch seinen Zustand an, denn zur fahrplanmäßigen Zeit kamen sie nicht die Treppe hinab, sondern bedeuteten mir, ich möge voraus laufen, sie würden noch etwas rasten und langsamer zurück gehen.
Wir sahen uns an diesem Tag nicht wieder, schade, denn unterhaltsam war das Gespräch in jedem Fall. Ich hoffe, es geht Christobal nach dieser langen, schlauchenden Runde gut. Denn hinter Es Cosconar führte der Weg noch einige Kilometer ohne Schatten bergab und durch ein Tal, dann aber wieder in anstrengenden Serpentinen bergauf zum Startpunkt am Santuari de Lluc.
Und ich dachte immer, deutsche Touristen erkennt man an shorts zu Sandalen und tennissocken-so kann man sich irren….
Ingrid,wie geht es Gerda?
Sie war das Gejammer ihrer Zimmernachbarin satt, ist wieder bei uns und alle drei Mäuse belagern sie.
Mucho Macho 🙂