Eine Wanderung im Regen.
Wie so oft in diesem Sommer.
Meine Verleger und Layouter werden mich heimlich verfluchen, aber ich mag Wanderungen im Regen.
Schon immer, weil mich der Regen beim Wandern immer so schön herunterkühlt, wenn ich nach einem Anstieg heiß gelaufen bin.
Aber besonders, seit Aurelia an Regentagen eher zum Mitwandern zu überreden ist als an Sonnentagen.
Alles ist ruhiger, fast besinnlich. Nicht so quietschig bunt und laut. Wir müssen nicht so viele Fotos machen und haben mehr Zeit zum reden.
In Kyllburg wandern wir am jüdischen Friedhof entlang. Aurelia bleibt stehen, seufzt und betrachtet den Davidstern am Eingangstor. Sie sagt „Das ist ein schöner Stern. Die Regentropfen funkeln so schön, bevor sie sich von der oberen Zacke auf die untere Zacke fallen lassen.“ Noch während ich ein bestätigendes „Mmmh“ beendet habe, folgt die Frage: „Ist das ein Friedhof?“ – „Ja,…“ – „Wenig Grabsteine hier. Darf ich sie mir ansehen?“ – „Ach, bestimmt hat keiner etwas dagegen.“ Behutsam und andächtig betreten wir den Friedhof. Ich bin froh, meiner Tochter keine Erklärung zu dem großen, relativ neuen Stein abgeben zu müssen, der 1958 zur Erinnerung an die in der NS-Zeit umgekommenen Juden aufgestellt wurde. Wie erkläre ich das einer Fünfjährigen? Aber sie fragt nicht danach. Sie geht zielstrebig auf einen anderen Stein zu und stoppelt Buchstabe für Buchstabe zusammen. Bei den alten Schreibweisen von L und S muss ich helfen, das ß kennt sie noch gar nicht, aber sie bleibt am Ball, bis sie sagen kann, dass es das Grab von Lisa Nussbaum ist. „Zwei Jahre alt ist dieses kleine Mädchen geworden.“, seufzt sie traurig, nachdem sie die Jahreszahlen 1902 und 1904 miteinander verglichen hat. Ich erkläre, dass von November 1902 bis Februar 1904 sogar nur ein Jahr und 3 Monate vergangen waren und dass in der damaligen Zeit viele Kinder so früh starben. Dann strahlt sie mich an und sagt: „Danke Mama, dass du uns jetzt erst geboren hast und nicht vor hundert Jahren. Deshalb sind wir alle drei schon älter geworden als das kleine Mädchen!“ Mir kommen die Tränen und meine Tochter umarmt mich zum Trost. Ich erkläre, dass ich gar nicht aus Traurigkeit, sondern aus Rührung weine, werde noch einmal gedrückt und muss dann das Wort „Rührung“ erklären.
So schön sind Regenwanderungen mit meiner Tochter.
Beim Weiterwandern gehen Ihr die Grabsteine nicht aus dem Kopf. „Da waren ja gar keine Kreuze drauf!“ – „Stimmt. Kreuze haben nur Christen auf ihren Gräbern. Das ist ein jüdischer Friedhof. Deren Symbol ist ein Stern.“ – „Kein Mond?“ – „Nein. Der Halbmond gehört zum Islam, so wie der Stern zum Judentum und das Kreuz zum Christentum.“ – „Aha.“ – wir gehen schweigend ein paar Minuten nebeneinander her – „Mama? Kenne ich Juden oder Islamer?“ – Ich nenne ihr zwei jüdische und drei muslimische Mitschüler(innen) – „Ach?! Die glauben anders als wir? Aber wir (sie zählt alle fünf und sich selbst auf) sind doch total gleich!“
Wir sprechen über einige Unterschiede wie Feste, Fastenregeln, Schweinefleisch, Gebete und das Kopftuch einer Mutter, die ihr morgens auf dem Schulparkplatz mehrfach aufgefallen ist. Viel länger aber sprechen wir über die Gemeinsamkeiten. Am Ende fasst sie zusammen: „Alle glauben an einen Gott, alle müssen Regeln befolgen und alle lieben ihre Kinder so sehr, dass sie sehr traurig sind, wenn sie schon sterben, bevor sie zwei Jahre alt werden konnten.“
Okay, Begriffe wie „Abrahamische Religionen“, „Monotheismus“, „Fremderlösung“ und „Propheten“ brauche ich mir wohl hoffentlich für die nächsten Jahre noch nicht zurecht legen. Aber ich werde mich wohl in absehbarer Zeit einmal ausführlicher mit den fernöstlichen Religionen beschäftigen müssen. Mein Grundwissen stammt noch aus der Schulzeit und aus meiner Zeit in Indien, ist also schon ziemlich verstaubt. Da Aurelia schon Schulkollegen aus Japan, China und Indien hatte, ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis wir auch über die dortigen Religionen sprechen werden. Aktuell bin ich mir nicht einmal sicher, ob Hinduismus und Buddhismus sich als mono- oder polytheistische Religionen verstehen.
Hindhuismus ist polytheistisch, Buddhismus ist eine Lehre ohne Gottesvorstellung, erkennt aber andere Religionen an. Du kannst also als Buddhist auch Christ oder HIndhu sein, umgekehrt aber nicht. 😉
Kinderfragen sind eine echte Herausforderung. Und die Schlussfolgerung: Eigentlich sind alle gleich, sollte man zum Allgemeingut erheben.
Ja, wir Menschen neigen leider sehr dazu, eher die Unterschiede zu betonen als die Gemeinsamkeiten. Aber Aurelia hat recht.
Bei der Kategorie „Glaube und Religion“ bei Quizzduell strauchele ich auch immer bei Buddhismus, Zoroastrismus, Rastafarie, Wicca, Hinduismuss, Jesiden…..
Schön zu wissen. Fiesgrins.