Manchmal gären Themen lange in mir, sind aber nicht vergessen. Eins davon ist die Empfindlichkeit, mit der ich zeitweilig auf meine Umgebung oder Kritik reagiere.
Ein lieber Bookcrosser gab mir in seiner Antwort auf eine herbstlich-depressive Mail im September den Impuls, doch einmal auf der Seite ZartBesaitet den Test zu besuchen. Nach Auswertung meiner Antworten hätte ich dann eine Idee, ob ich vielleicht eine hochsensible Person (HSP) bin.
Dieser Rat fiel mir gestern Abend wieder ein und ich machte den Test.
Bäm!
Das ist mein Ergebnis:
HSP Test
Sie haben 292 Punkte
Punkteanzahl von 188 bis 300
Sie sind mit an Gewissheit grenzender Sicherheit eine HSP. Hochempfindlichkeit beginnt bei 163 Punkten. Je weiter Ihre Punkte-Anzahl über 200 liegt, umso mehr sollten Sie darauf achten, sich in kein Schneckenhaus zu verkriechen. Sie werden sicher noch glücklicher und leistungsfähiger sein, wenn Sie nicht versuchen zu leben wie ein nicht-HSP. Arbeiten Sie daran Wege und Möglichkeiten zu finden, um in einer Ihnen angenehmen Weise Kontakt mit der Welt zu halten. Die Welt braucht Sie und Ihre Empfindsamkeit. Sie sind eine Bereicherung.
Jetzt habe ich den Salat! Ich bin also wohl hochsensibel und darf dies nicht einmal als Kritik à la „Mensch, bist du eine Mimose!“ ansehen, sondern soll auch noch stolz darauf sein?!
Prima!
Na, immerhin habe ich nun einen Namen für meinen Wesenszug und weiß, dass es keine Krankheit ist. Denn es gibt Tage und Situationen, da habe ich Sorge, einer Depression nahe zu kommen.
Weshalb ich aber eigentlich diesem Thema nachgegangen bin, hat einen anderen Grund. Gestern war ich mit meinen Töchtern auf einem 2. Geburtstag. Nele fragte nach einer Dreiviertelstunde: „Mama, gehen wir nach Hause?“ und auf Nachfrage erklärte sie mir „Nele müde. Kinder laut. Will zu Oma!“ Alles klar. Danke, meine Süße, dass du mir so sehr vertraust. Die Mutter der Gastgeberin hatte mitgehört und nickte verständnisvoll: „Jaja, die Hochsensiblen.“
Unabhängig voneinander sprachen mich innerhalb von zwei Wochen Aurelias neue Deutschlehrerin und die Betreuerin der Zwillinge auf ein ungewöhnliches Verhalten an: Wenn alle Kinder sich zusammen in einen Kreis setzen sollen, um dann ein ihnen fremdes Spiel zu spielen, kann es gut passieren, dass Aurelia oder Nele aufstehen und sich erst einmal an den Rand setzen. Erst wenn sie die Spielregel verstanden haben, kommen sie in den Kreis zurück und fragen, ob sie an dem Spiel teilhaben dürfen. Cari ist in dieser Hinsicht anders: ihr ist egal, wie das Spiel geht, sie macht voller Begeisterung mit, Hauptsache es ist Remmidemmi um sie herum.
Als ich dies zuhause erzählte, lachte sich meine Mutter fast kaputt. Denn meine Kindergärtnerin trug ihr vor fast einem halben Jahrhundert fast die gleiche Beobachtung vor. Ich schaute als Kindergartenkind auch erst zu, bis ich die Regel verstand. Selbst wenn Frau Roussellot mich in den Stuhlkreis zwang, machte ich nicht mit und weinte nur: „Aber ich kann das Spiel doch gar nicht!“
Naja, die eigenen Kinder kommen nicht auf andere Leute. So wundert es mich nicht, dass Nele und Aurelia erst ganz genau wissen wollen, was zu tun ist, bevor sie mitmachen.
Das habe ich auch beim Radfahren bemerkt. Cari setzt sich auf jedes Fahrzeug und rauscht einfach los. Wenn sie fällt, rappelt sie sich auf und es geht weiter. Oder sie tritt das Spielzeug und kommt weinend zu mir. Von den beiden anderen bekomme ich stets ein „Ich kann das nicht!“ zu hören. Erst wenn ich ihnen Zeit lasse, andere auf diesem Dreirad, Laufrad, Kettcar, Rutschauto, Fahrrad, Schlitten,… zu beobachten, wagen sie sich. Dann aber schnell mit gutem Erfolg. Ob sie wohl die ersten wackeligen Versuche und Stürze schon im Kopf hinter sich gebracht haben?
Kann so eine kleine Person wie Nele schon überlegen, was ihr alles passieren könnte, wenn sie sich auf das Laufrad setzt? Ich fürchte: ja! Denn sie sagt „Mama, bitte nicht. Ich Angst“.
Nein, das ist jetzt weder Selbstdiagnose noch Laiendiagnose an meinen Kindern. In die Schublade „Hochsensibel“ möchte ich mit meinen Töchtern gar nicht hüpfen. Man muss nicht aus jeder charakterlichen Besonderheit und jedem Persönlickeitsmerkmal ein Krankheitsbild machen. Es ist einfach nur die Feststellung, dass Menschen sich nicht normen lassen. Was der eine noch als langweilig empfindet, kann für den anderen schon zu aufregend sein. Und nicht jeder muss bei einem Spiel sofort mitmachen oder sofort auf ein Spielzeug steigen. Es ist in Ordnung, erst einmal zuzusehen und die Spielregel bzw. die Bewegungsabläufe zu erfassen und zu verinnerlichen.
Auch mich hat nach längerer Bloglektüre Jemand (nicht BookCrosserIn) angemailt und überhaupt erstmal drauf aufmerksam gemacht, daß es sowas überhaupt gibt. Und in verschiedenen Ausprägungen (mancher reagiert auf Lärm, andere auf zwischenmenschliche Schwingungen, noch andere auf Farben…. oder auf alles davon… oder), deren eine ganz gewiß tatsächlich „meine“ ist. Ich habe seitdem einfach einen etwas anderen Blick auf meine „Anstellerei“, und allein das machts schon leichter, weil ich weniger streng mit mir ins Gericht gehe.
Insofern: kein Krankheitsbild, vielleicht aber eine kleine Hilfe!?