Nachdem Jan gestorben war, mochte Henri nichts mehr fressen. Er trauerte ganz ohne Zweifel. Keiner von uns konnte das lange ansehen, also schalteten wir eine Kleinanzeige und suchten einen neuen Partner für Henri.
Ein Böckchen oder ein kastriertes Weibchen sollte es sein, weil Henri nicht kastriert ist. Die Anzeige lief etwa eine Stunde, da hatte sich mein Postfach gefüllt mit:
- 14 unkastrierten Böckchen
- 8 kastrierten Böckchen
- einem kastrierten Weibchen
- 6 unkastrierten Weibchen, eins davon trächtig (nein, ich habe keine Ahnung von Kaninchenzucht!)
- zwei Pärchen, eins davon unkastriert
- einer sechsköpfigen Kaninchenfamilie
- 3 Meerschweinchen
- 2 Goldhamster
- 2 Geckos
- 5 Anfragen, wann man Henri denn abholen könnte (NEIN, der bleibt hier!!!)
- einer Anfrage von „Tierschützern“, welche Maße das Außengehege hat und ob es mardersicher ist
- einem Hinweis von „Tierschützern“, dass wir Henri unbedingt kastrieren lassen müssen, weil er sonst zu wild ist (oh nein, wenn er durch eine Kastration noch braver würde, könnte ich ihn nicht von einem Stofftier unterscheiden)
- einem Angebot, kostengünstig Kaninchenspielzeug kaufen zu können (KaninchenWAS??? Sagt mal, wie verquer ist denn diese Welt, wenn Karnickel jetzt schon eigenes Spielzeug bekommen?)
Eilig deaktivierte ich die Anzeige und prüfte die 22 Jungs aus den ersten beiden Kategorien. Viele von ihnen waren schier zu groß für Henri, bei solch einer großen Auswahl ziehe ich es vor, ihm jemanden auf Augenhöhe zu suchen. Einige Anbieter wollten unverschämt hohe „Schutzgebühren“ für ihr Tierchen. Ich verstehe den Sinn einer Schutzgebühr durchaus, aber die zahle ich für einen Hund an das Tierheim oder den Tierschutzverein – und die von einer Dame verlangten 350 Euro lassen mich nur noch hysterisch kichern. Das ist ja ‚mal eine Art von Humor, die man sich auf der Zunge zergehen lassen muss.
Es blieben 7 Burschen, die gerne bei uns einziehen wollten. Also mussten meine Mutter und die Mädels ran. Jedes einzelne Kaninchen wurde besprochen, vorhandene Fotos angeschaut und vergrößert. Eins sah Jan zu ähnlich und kam nicht in Betracht, danach entschied das Maß der Not. Dieses Kriterium ist schwierig, wenn fünf emotionale Weiber entscheiden.
Um es kurz zu machen: nicht ein neuer Partner zog bei uns ein, sondern gleich zwei.
Am Sonntag packten wir Henri ins Auto und fuhren mit ihm nach Wiehl. Dort holten wir Anton ab, der bei seinen bisherigen Menschen nicht bleiben konnte und in seiner Notaufnahmestelle von den anderen fünf Kaninchen so sehr gemobbt wurde, dass er separiert werden musste. Die gemeinsame Heimfahrt in der engen Box schweißte die beiden zusammen. Wer nebeneinander hockend Motorengeräusche im Ohr und Neufundländergeruch in der Nase hat, bleibt auf immer befreundet. Dieser kleine Bursche ist erst ein gutes halbes Jahr alt, also unser Nesthäkchen. Und er ist sehr neugierig. Ständig steht er auf seinen Hinterläufen und schaut, wer da kommt und was grade irgendwo im Garten passiert.
Am Montag dann wurde der trauernde Witwer Rocky aus Brühl von seinen Menschen zu uns gebracht. Zu ihnen könnte er jederzeit zurück, wenn es ihm bei uns nicht gefällt. Aber seine 15-jährige Chefin konnte schon nach einigen Minuten sehen, dass es ihm bei Henri und Anton gut gefiel. Alle drei beleckten sich gegenseitig und fraßen an drei Seiten eines gemeinsamen Kohlrabiblattes.
Rangordnungskämpfe gab es weder im Freigehege, noch im Stall. Wir sind nun gespannt, ob diese noch kommen oder die Jungs einfach vollkommen entspannt eine Männer-WG gegründet haben. Momentan vermuten wir, dass die beiden braunen Jungspunde erkannt haben, dass Rocky schon sechs Jahre alt ist und ihn vielleicht ohne große Diskussion zum Chef erklärt haben.
Schön für die drei!
Der Makler und ich kamen neulich unabhängig voneinander zu dem Schluss, dass man eigentlich auch Blindtext in eine Anzeige schreiben kann, weil die Leute nicht lesen.
Schreibst Du Maße rein und für wieviel Personen das Haus geeignet ist: Paar + 1 kleines Kind, bekommst du etliche Anfragen von Leuten mit etlichen Kindern und erwachsenen Kindern und last, not least die Frau mit der netten 5-köpfigen Flüchtlingsfamilie, die einfach über mich rüber quatscht.
Selbst das Schild auf dem steht „zu verkaufen!“ führt zu der Frage: „Ist das zu vermieten?“
Wahrscheinlich ist die Zahl der funktionalen Analphabeten noch höher als gedacht.
Schön für die drei!
Der Makler und ich kamen neulich unabhängig voneinander zu dem Schluss, dass man eigentlich auch Blindtext in eine Anzeige schreiben kann, weil die Leute nicht lesen.
Schreibst Du Maße rein und für wieviel Personen das Haus geeignet ist: Paar + 1 kleines Kind, bekommst du etliche Anfragen von Leuten mit etlichen Kindern und erwachsenen Kindern und last, not least die Frau mit der netten 5-köpfigen Flüchtlingsfamilie, die einfach über mich rüber quatscht.
Selbst das Schild auf dem steht „zu verkaufen!“ führt zu der Frage: „Ist das zu vermieten?“
Wahrscheinlich ist die Zahl der funktionalen Analphabeten noch höher als gedacht.
Geniale Idee, eine Anzeige mit Blindtext werde ich bei Zeiten einmal ausprobieren
Ich habe dein Drama verfolgt, auch wenn ich es nicht so oft kommentiert habe. Die Theorie „funktionaler Analphabet“ hört sich schlüssig an. Alternativ habe ich überlegt, ob die Leute den Inhalt zwar theoretisch sehr wohl lesen UND verstehen könnten, aber einfach nur jemanden brauchen, mit dem sie über das Thema „Kaninchen“ bzw. „Wohnungsvermietung“ sprechen können…
Das liest sich schön, vor allem für Anton freue ich mich 🙂
Das ist ja irgendwie völlig an mir vorbeigelaufen, gut das Du so einen ausführlichen Rückblick geschrieben hast, da konnte ich jetzt in Ruhe nach-Lesen. Schön das zwei echte Notfälle bei Euch unterschlupf gefunden haben.