Ihr kennt mich als Reisejournalistin, die gerne unterwegs ist, darüber auch berichtet und euch Tipps für eure nächste Reise gibt. Ihr kennt mich als brave Bürgerin, Juristin und Beamtin, die sich an Gesetz und Recht hält und dies auch nach außen verteidigt. Ihr kennt mich als Rheinländerin, die „et is wie et is“ sagt, sich an eine neue Situation anpasst und das Beste daraus macht. Ihr kennt mich wahrscheinlich nicht als verzagtes Häuflein Elend, das Angst vor der Zukunft hat. Genau das bin ich aktuell – nach der Pressekonferenz des Corona-Krisengipfels heute Nachmittag.
Was Frau Bundeskanzlerin Merkel schwer über die Lippen kam und wo für sie sich in jedem zweiten Satz bei uns entschuldigte ist schnell zusammengefasst:
- Ab dem 2. November kommt es zu einem zweiten Lockdown. Sie nimmt das Wort nicht in den Mund und redet mit vielen Blümchen drum herum. In einigen Details unterscheidet er sich vom ersten Lockdown. Aber es ist ein zweiter Lockdown. Söder nennt ihn in seiner Ansprache dann auch „milderen Lockdwn“.
- Schulen und Kitas bleiben geöffnet.
- Ansonsten wurden massive Kontaktbeschränkungen in allen Lebensbereichen beschlossen.
- Allgemeines und bundesweites Beherbergungsverbot für private und touristische Zwecke.
- Persönliche Kontakte in der Öffentlichkeit sollen auf Angehörige des eigenen und eines weiteren Hausstandes mit maximal zehn Personen beschränkt werden.
- Gastronomiebetriebe sollen den gesamten November schließen.
- Theater, Opern- und Konzerthäuser sollen den gesamten November schließen.
- Veranstaltungen, die der Unterhaltung und der Freizeit dienen, werden untersagt.
- Freizeit- und Amateursport sollen unterbleiben, der Individualsport ist ausgenommen. Profisport ohne Zuschauer.
- Dienstleistungsbetriebe im Bereich der Körperpflege wie Kosmetikstudios, Massagepraxen, Tattoo-Studios,… werden geschlossen, weil in diesem Bereich eine körperliche Nähe unabdingbar ist. Friseure dürfen diesmal unter den bestehenden Auflagen weiter arbeiten.
- Physiotherapeuten, Podologen, Ergotherapeuten und Logopäden bieten medizinisch notwendige Behandlungen an und dürfen besucht werden.
- Groß- und Einzelhandel bleibt diesmal in allen Bereichen offen. Je Kunde müssen mind. 10 m² zur Verfügung stehen.
Das wird ab kommendem Montag wieder tief in das Leben aller Menschen eingreifen. Es wird uns nicht leicht fallen.
Wir sind sehr dankbar dafür, dass die Politiker mit Augenmaß beraten haben. Die Schulen und KiTas bleiben geöffnet, um schwere Schäden von den Kindern abzuwenden, die im ersten Lockdown mit ihren zum Teil vollkommen überforderten Eltern allein gelassen wurden. Es soll weiterhin möglich sein, unter strengen Hygieneregeln die Bewohner von Pflegeheimen zu besuchen, die sich im ersten Lockdown eingesperrt und von der Welt vergessen vorkamen. Zu Spielplätzen wurde nichts gesagt, wir hoffen, dass sie weiter geöffnet bleiben. Tagsüber für unsere Kinder, nach Einbruch der Dunkelheit für die Teenies unseres Ortes, die sonst ja gar nicht mehr wissen, wohin sie gehen sollen.
Wenn ich in den November sehe, wird mir dennoch flau: Ich sehe Restaurants schließen, die nie wieder öffnen werden, weil sie schon jetzt alle Reserven verbraucht haben. Ich sehe Betreiber von Fitnessstudios, Hotels, Kinos,… über Insolvenzverfahren nachdenken. Ich sehe Kleinkünstler, Soloselbständige und Reisebuchautoren über Hartz-IV-Formularen brüten.
Ich sehe meine Fußpflegerin mit unterdrücktem Weinen bei mir anrufen, wie schon im März, um mir zu erklären, dass sie den Termin absagen muss, weil sie keine geprüfte Podologin ist. Aber sie ist besser für meine krummen Füße als alle echten Podologen, bei denen ich je war!
Ich sehe daneben heimliche Feiern, bei denen sich Dutzende von Studenten oder Großfamilien ohne jedes Schutzkonzept treffen. Wäre es da nicht besser, sie in der Gastronomie mit ihren strengen Regeln und Schutzmaßnahmen feiern zu lassen?
Ich sehe im November größere Demos, offenen Protest und geringere Erfolge als im März. Denn die Zahl der Ungeduldigen, Gleichgültigen und Uneinsichtigen wächst. Sie machen mit jetzt schon Angst, wie wird es erst im November sein? Immer öfter höre ich Sprüche, wonach es doch wohl sinnvoller wäre, die Alten und Kranken zu ihrem eigenen Schutz wegzusperren, statt allen anderen den Spaß zu verderben. Selbst Ärzte erzählen mir detailliert ihre persönliche Version der Verschwörungstheorie. Da versteht man nicht einmal meine Bedenken, wenn es um die Durchführung von Flohmärkten, Halloween-Beutezügen in der Nachbarschaft und Martinszügen geht.
Zugegeben: ich war in meinem ganzen Leben noch nie in einer Disko und gehe nur sehr selten aus. Ich sage lieber eine Geburtstagseinladung ab, als eine Gefahr einzugehen. Aber ich erlebe in der Nachbarschaft, im Freundeskreis und bei anderen Familien in der Schule meiner Kinder einen solchen Drang, „jetzt erst recht“ feiern zu wollen, dass ich an dem Erfolg der Maßnahmen viel größere Zweifel habe als noch im Frühjahr. Wir haben im Jahr 2020 in unserer Familie keinen einzigen Geburtstag mit Gästen außerhalb des Hausstandes gefeiert. Das geht! Und ich bin sicher, dass keiner von uns einen bleibenden Schaden davon trägt. Nicht von einem ausgefallenen Geburtstag. Selbst dann nicht, wenn wir nun weder Halloween, noch St. Martin, noch Weihnachten, noch Silvester feiern könnten. Aber vielleicht, wenn irgendwann wieder die Schulen schließen oder wenn eine von uns an Covid-19 erkrankt.
Die Juristin in mir hat aber noch ein ganz anderes Problem mit der heutigen Entscheidung: Was ist denn dieses 17er-Gremium eigentlich staatsrechtlich? Eine Ministerpräsidentenkonferenz plus Kanzlerin wir weder im Grundgesetz, noch in den Landesverfassungen oder anderen rechtlichen Grundlagen als Gesetzgebungsorgan für solch schwerwiegenden Eingriffe in Grundrechte genannt. Im Frühjahr hätte man sich noch mit „Eilbedürftigkeit“ und „Gebot der Stunde“ herausreden können. Aber diese Stunde ist lange verstrichen. Wo waren denn die Parlamente im Frühjahr, Sommer und Frühherbst? Jedenfalls nicht bei der Sache. Warum wurden acht Monate vertan, ohne sich von Seiten der legitimen Gesetzgeber Gedanken darüber zu machen, was zu tun sei, wenn die Zahlen im Herbst wieder in die Höhe schnellen. Das haben die Medizinmänner doch bereits im April vorhergesehen.
Natürlich ist ein Parlament schwerfälliger als kleinere Entscheidungsgruppen. Aber es war doch jetzt Zeit genug, sich damit zu beschäftigen. Stattdessen blieb alles der Exekutive überlassen. Naja, immerhin werden dann die Juristen nicht arbeitslos, denn die Judikative wird sich in den kommenden Monaten nicht nur mit Alltagsmasken und lokalen Beherbergungsverboten beschäftigen.
Ich wünsche euch allen das Beste für den November. Haltet durch und die Ohren steif.
Für meinen Teil werde ich versuchen, so „normal“ wie möglich weiter zu leben. Wenn ich keine Vor-Ort-Recherchen machen kann, habe ich mehr Zeit fürs Schreiben bereits recherchierter Infos. Wenn niemand mit meinen Büchern reisen darf, hoffe ich darauf, dass jemand mit einem meiner Bücher eine Gedankenreise auf dem Sofa macht. Einen winzigen Vorteil hat der Quasi-Lockdown ja: Ich verdiene zwar weniger Geld, aber wir haben auch weniger Gelegenheiten, es wieder auszugeben.
Wie seid ihr von dem neuen Lockdown betroffen? Verändert dies euren Alltag – euer Freizeitverhalten – oder gar euer gesamtes Leben?
Allein lebende Singles haben auch wieder die Arschkarte gezogen.
Wo soll ich jetzt einen anderen Haushalt mit 10 Personen hernehmen?
Oh, jetzt wollen wir doch mal nicht übertreiben. Du bist wohl genusssüchtig! Es darf ja maximal ein 9-köpfiger Haushalt sein, mit dem du dich treffen willst 😉
Spaß beiseite. Alleinlebende Menschen stehen auch auf der Verliererseite dieser Regelung. Wir denken ernsthaft über Überraschungspäckchen für alle Single-Senioren in unserem Umfeld nach. Wer im „Wonnemonat“ November 2020 alleinstehend ist, müsste doch eigentlich schon prophylaktisch zwei Depressionstherapiestunden pro Woche frei haben.
Ich habe gerade mal nachgedacht und eigentlich dürfen LAG und ich uns auch mit niemanden treffen, denn offiziell sind wir ja auch 2 Haushalte. Dass heisst jeder von uns darf sich mit 9 weiteren treffen aber wir zusammen mit niemanden
Zusammenziehen?
Wobei ich persönlich zwei Haushalte auch immer besser fand.
Andererseits habe ich auch in 2er WGs gewohnt und fand es gut, so lange jeder sein eigenes Zimmer hat.
Alledings hat mich in der einen WG das Wärmeempfinden der Eigentümerin gestört. Ich habe den ganzen Winter durch gebibbert, Weil die Heizung ausbleiben musste.
Ich hatte übrigens eine ordentliche Nachzahlung an Strom und Gas. Klar. Im Lockdown war ich zu Hause und habe immer gekocht.
Ja ich gehe auch von etwas anderen „Werten“ aus. Mal schauen, bisher habe ich immer üppig zurück bekommen.
Ich gehöre zu dem „glücklichen“ bei denen sich wenig geändert hat. Mein Geld fliesst aufs Konto. Ich habe eher mehr als weniger Arbeit auch ist sie aufwändiger. Wir haben im Frühjahr und Sommer neue Kollegen ins Team bekommen, die einzuarbeiten ist eine weitere Herausforderung. Großes Problem, wenn alle zuhause arbeiten, die „Randzeiten“ vor 8 und nach 17 Uhr werden für Besprechungen immer beliebter. Außer als Betriebsrat habe ich seit Januar meine Kollegen nicht gesehen. Bis vor 4 Wochen war das betreten der Büros nur mit expliziter Genehmigung erlaubt. Seit letzter Woche hat LAG auch in seiner Wohnung Internet und das Homeoffice entspannt sich dadurch auch etwas.
Privat läuft auch alles normal. Bisher haben wir uns gelegentlich mit Freunden, auch in Restaurants, getroffen. Freitags im Haus der Kulturen kleine, improvisierte, Kulturveranstaltungen genossen.
Wir durften IMMER raus, konnten IMMER alles nötige einkaufen. Lockdown ist und war es nicht, auch wenn es für uns natürlich ungewohnte Einschränkungen sind. (Familien sind da sicher anders betroffen, ich kann nur für mich sprechen)
Ich denke auch es wäre in den letzten 14 Tagen genug Zeit gewesen die gewählten Volksvertreter zu befragen. Auch denke ich, dass die pauschale Schliessung ausgewählter Dienstleitungen nicht Bestand haben wird. Wieso darf der Friseur mit Hygienekonzept öffnen, aber das Restaurant nicht? Eine Bekannte hat in ihrem Restaurant Plexiglasstellwände installiert und 3 Raumluftfilteranlagen mit HEPA Filter im Gastraum verteilt. Ich kenne viele Restaurants die ähnlich umgebaut haben. Ich kann nur hoffen, das die Variante „75% des Vorjahres-Novemberumsatz“ wirklich funktioniert und es nicht wieder irgendwelche Fallstricke für die Betroffenen gibt.
Man wird sehen ob und was es bringt, aber bis die Effekte zu sehen sind werden noch 8-10 Tage vergehen. Das was jetzt gemeldet wird hat sich letzte Woche oder am Wochenende angesteckt.
Danke für deine ausführliche Antwort. Wie schön, dass es euch gut geht und ihr den Lockdown nicht als Extrembelastung empfindet.
Der HEPA-Filter ist auch für uns ein Thema: Warum wurden nicht alle Klassenzimmer damit ausgestattet? Ich habe sie in den letzten Wochen in Restaurants, Hotels, Touristeninformationen,… gesehen. Meine Zahnärztin stellte mir ihr Exemplar gestern ganz ausführlich vor. Leistungsstark genug für 69 m², das müsste doch für jedes Klassenzimmer reichen.
Ich weis dass die Geräte im Restaurant meiner Bekannten für 40 qm augelegt sind. Der Raum hat vielleicht 60-80 qm in 3 Bereichen und in jedem steht ein Greät.
In einem der Magazine die in der Woche auf den verschiedenen Sendern laufen hat jmd mal ausgerechnet, wenn alle Klassenzimmer in Deutschland mit ausreichenden Luftfiltergeräten ausgestattet würde, würden ca 1,2 Mrd € nötig sein. Es wird sogar Geld vom Bund bereitgestellt aber dies kann nur für die „Modernisierung“ vorhandener, fest installierter, Anlagen genutzt wird.
Das lässt mitunter den Verdacht aufkommen, man wolle gar nicht wirklich helfen. Warum sonst sollte man Fördermittel nur für die vorhandenen, fest installierten Anlagen geben, statt ganz allgemein zu sagen „für jedes Klassenzimmer, das am Ende gute gefilterte Luft hat, gibt es Geld“?
Tja, und genau die werden jetzt abgewatscht, Während Kirchen offen bleiben dürfen und private Veranstaltungen zwar Theoretisch eingeschränkt sind, praktisch aber unkontrollierbar.