Im April flatterten uns zwei „Einladungen zur Sprachstandsfeststellung zwei Jahre vor der Einschulung gemäß § 36 Abs. 2 SchulG“ ins Haus. Nele und Cari aufgefordert, sich am 09.05.2019 dem Test „Delfin 4“ zu unterziehen.
Rechtliche Lage
Für das schulische Lernen von Kindern sind die sprachlichen Fähigkeiten eine ganz wesentliche Grundlage. Deshalb wurden von März 2007 bis Juli 2014 alle Kinder in NRW einem Sprachtest unterzogen. Gute zwei Jahre vor der Einschulung sollten hierdurch Defizite aufgedeckt werden, die ohne eine entsprechende Förderung die Schulfähigkeit gefährden könnten.
Der Name Delfin 4 ist die Abkürzung für „Diagnostik, Elternarbeit, Förderung der Sprachkompetenz In Nordrhein-Westfalen bei 4-Jährigen“. (Okay, für die Sprachkompetenz war in der Abkürzung kein Platz, was will mir das sagen?)
Durch das zum 1. August 2014 in Kraft getretene „Gesetz zur Änderung des Kinderbildungsgesetzes und weiterer Gesetze“ (KiBiZ), mit dem auch § 36 Abs. 2 Schulgesetz NRW angepasst worden ist, liegt die Feststellung der sprachlichen Entwicklung (und die sich daraus ergebende Förderung) der Kinder, die eine Kindertageseinrichtung besuchen, in der Hand der Kindertageseinrichtung selbst.
Kinder, die keine Kindertageseinrichtung besuchen, und Kinder, deren Eltern der Bildungsdokumentation in der Kindertageseinrichtung nicht zugestimmt haben, werden mit dem Verfahren Delfin 4 in Verantwortung der staatlichen Schulämter getestet. Hierzu zählen auch Kinder, die eine Kindertageseinrichtung besuchen, die nicht deutschsprachig ist, also z.B. Kinder in einer englischen Nursery.
Mit diesen Kindern wird der Einzeltest „Besuch im Pfiffikushaus“ von Grundschullehrkräften oder sozialpädagogischen Fachkräften der Grundschulen durchgeführt. Eltern der betroffenen Kinder erhalten dazu eine entsprechende Einladung und können (!) ihr Kind zum Test begleiten.
Da saß ich also das zweite Mal vor einer solchen Einladung und kratzte mir am Kopf. Gibt es wirklich Eltern, die ihre Kinder allein zur nächstgelegenen Schule schicken: „Beeil dich, in einer Viertelstunde musst du dich bei Frau Soundso für deinen Sprachtest vorstellen!“ und sie nicht begleiten???
Es heißt ganz oben in dem Schreiben so schön freundlich Einladung. Dass es sich aber eigentlich um eine Vorladung handelt, wird schnell klar, wenn man weiter liest: „Die Teilnahme ist nach § 36 Abs. 2 in Verbindung mit § 126 SchulG verpflichtend“ und „Eine Verletzung dieser Pflicht kann daher zu einem Bußgeld führen.“ und „…zu einem Sprachförderkurs zu verpflichten.“
Unsere Erfahrung im Mai 2016
Obwohl ich Aurelia damals auch darauf vorbereitet hatte, war dieser Test in der Geschwister-Scholl-Gemeinschaftsgrundschule für sie eine Katastrophe. Ausgerechnet am Geburtstag der Zwillinge 2016 musste sie während ihrer Mittagsschlafzeit einer fremden Frau viele Fragen beantworten. Sie gab ihr Bestes, die Lehrerin gab ihr Bestes, aber am Ende hatten beide nur Nerven für 2 von fünf Räumen im Pfiffikus-Haus. Selbst Jahre später spricht sie von dem „doofen Test“, den sie dort machen musste, wann immer wir in die Nähe des Schulgebäudes kommen.
Unser Besuch im Pfiffikus-Haus im Mai 2019
Nele und Cari waren in die andere Efferener Grundschule eingeladen worden. Die KGS Don-Bosco zog zwar vor etlichen Jahren aus der Ahl Schull in das Gebäude der Geschwister-Scholl-Schule, ist aber weiterhin organisatorisch und personell unabhängig.
Die Termine waren um 11:30 und 12:00, ich holte also zwei wache Kinder direkt vom Spielplatz. Wir mussten uns nicht (!) entnervt durch das Gebäude fragen, sondern eine nette Lehrerin holte uns schon am Schuleingang ab. Keiner verlangte von den Kindern, sich von der Mama zu trennen. So lange ich mich still verhielt, durfte der jeweilige Prüfling auf meinem Schoß sitzen.
Nach einem fröhlichen Auflockerungsgespräch wusste die Lehrerin (selbst Zwillingsmama) schon, woran sie bei den beiden war. Ja, ihr ahnt es schon: Nele beantwortete alle Fragen für beide.
Also bekam sie ein Ausmalbild, Buntstifte und den Schreibtisch der Lehrerin zur Verfügung gestellt, damit getestet werden konnte, ob auch wirklich beide Zwillinge sprechen können…
Ja, können sie: in der entspannten Atmosphäre beantwortete Cari alle Fragen. Nicht alle Antworten waren richtig, aber einige falsche Antworten waren nur ein bisschen falsch, sodass sie für „ein Hund – zwei Hünde“ immerhin noch einen von zwei möglichen Punkten bekam.
Meine große Sorge in Bezug auf das Englische war unberechtigt. Nur an einer Stelle gab sie eine englische Antwort, nämlich bei einer Zeichnung eines Marienkäfers: „Ladybug! Das ist ein Ladybug! Ich bin in der Schule in der Ladybug-Gruppe, da ist…“ – „Halt, liebe Cari, ich wollte nur wissen, wie das Tier heißt. Kennst du noch einen anderen Namen für Ladybug?“ – „Ja, sicher: Ladybird!“ Die Lehrerin gab lachend auf und verriet: „Marienkäfer“. Cari lachte auch und flüsterte: „Ja, weiß ich doch, aber das Wort ist doof.“
Die Zeichnungen auf dem Papphaus sind niedlich, sie sind bunt, aber ich kann sie euch leider nur in schwarz/weiß vom Ausmalblatt zeigen. Cari mochte den Papagei besonders gern, weil sie grade erst zwei Tage vorher einen Quasselpapagei geschenkt bekommen hatte. Neles Favorit war das chaotische Spielsachenregal (man mag eben, was man kennt…).
Zügig war Caris Test zu Ende und die beiden tauschten die Plätze. Nele erlebte es wahrscheinlich nicht einmal als Testsituation. Sie hatte einfach nur Freude daran, mit der Lehrerin ein lustiges Quasselspiel zu spielen, in dem auch Quatschworte und Quatschsätze gesagt wurden.
Selbst bei einem Fehler hatte sie so gute Argumente, dass ich schmunzeln musste: aus sechs Karten sollte sie die Spielzeuge heraussuchen. Die vier eindeutigen Spielzeuge waren ruckzuck ausgemustert, hinzu legte sie ein gezeichnetes Kissen. Die Lehrerin schaute fragend und Nele erklärte: „Damit kann man prima ‚Kissenschlacht‘ spielen!“
Sofort beim Rausgehen wussten wir, dass es bei beiden Kindern keinen Sprachförderbedarf gibt. Alles klar!
So unterschiedlich kann es also gehen. In diesem Jahr komme ich nach einer Stunde mit gut gelaunten Kindern nach zwei Tests aus der Schule. Vor drei Jahren dauerte es erheblich länger (bei nur einem Test) und die Laune war im Keller.
Heute Morgen beim Kinderarzt (U8 für Cari) erzählte ich vom Delfin 4 Test und die Kinderärztin raufte sich die Haare: „Waaaas? Gibt es den immer noch? Ich dachte, der sei vor 5 Jahren ganz abgeschafft worden!“
Naja, im Prinzip finde ich das gar nicht schlecht, so war rechtzeitig durchzuchecken, auch wenn es von der Tagesform, der Fragerin und der Befragten abhängt.
Bei Euch habe ich da sicher keine Bedenken und kann auch verstehen, dass Dich dieser Bürokratismus nervt. Aber was ist mit Kindern, deren Eltern ständig auf dem Handy rumtippen. Oder Kinder, die aus irgendeinem anderen Grund in der Sprachentwicklung hinterher hinken. Da ist es besser, möglichst früh einzugreifen.
Ich finde zum Beispiel, dass ein mir bekanntes Kind, etwa so alt wie die Zwillinge, mir alles mögliche erzählt, aber ich verstehe sie nicht. Vielleicht sind die Eltern gerade zu sehr mit der kleineren, behinderten Schwester beschäftigt. Vielleicht liegt es auch an meinen nachlassenden Ohren.
Geht mir genauso. Im Prinzip ist die Idee gut, die dahinter steckt. Es ist ja genau so, wie du sagst: da gibt es Kinder, die ansonsten schon am ersten Schultag mit unauffüllbaren Lücken in der Klasse sitzen. Die Ausführung im Jahr 2019 war auch vollkommen okay für mich, während ich mich 2016 fürchterlich aufgeregt habe.