Heute ist Feiertag. Zumindest für Menschen, die einen Mo-Fr-Beruf haben. Für mich spielen Feiertage und Wochenenden nur insofern eine Rolle, weil dann die Mäuse zuhause sind. Meine Arbeit im Haushalt, im Garten und an den Reiseführern läuft ja wie gewohnt weiter.

Zum Glück können sich die drei sich schon bis zu 15-20 Minuten allein beschäftigen, sodass ich mich nicht pausenlos um sie kümmern muss, obwohl Oma Brötchen verkauft und Papa ausgeflogen ist. Trotz der wachsenden Selbstständigkeit der Kinder scheint mein Arbeitspensum immer weiter anzusteigen. Ich weiß, das ist hausgemachter Stress und gar nicht gut in meiner körperlichen Verfassung. Aber andererseits tut es so gut, wieder ein paar Dinge erledigen zu können.

Vor mir türmte sich heute Morgen ein riesiger Berg an Aufgaben. Jede schrie „Ich zuerst!“ – „Nein, ich!“ – „Ich bin wichtiger!“ – „Ich bin älter!“ – „Ich bin größer!“ – „Ich bin unangenehmer!“ – „Ich bin eiliger!“ – „Ich bin klitzeklein und schnell erledigt!“ – „Ich habe eine Frist!“ – „Ich verspreche den größten Ärger!“ – „Ich!“ – „Ich!“ – „ICHICHICH!“

Hm, doch wieder einfach ins Bett legen?

Nein, zum Schlafen komme ich ohnehin nicht, wenn alle drei immer wieder reinkommen, um Fragen zu stellen, Blödsinn zu machen oder eine neue Windel einzufordern. Also will ich etwas tun, das ich jederzeit unterbrechen kann.

Ich schaue mir all meine kleinen Aufgaben an und plötzlich fällt mir ein Managementlehrgang ein, den ich vor mehr als 20 Jahren über mich ergehen lassen musste. 80 % davon war rausgeschmissene Zeit, aber ein paar nützliche Ideen hatte ich doch mitgenommen. Eine davon waren die Schreibtischaffen:

Affen auf dem Schreibtisch

Ich stelle mir jede Aufgabe als einen kleinen Affen vor, der auf einem Schreibtisch sitzt. Wer gerade an der Aufgabe arbeitet, der trägt die Verantwortung für den Affen. Solange er den Affen hat, muss er ihn pflegen und füttern. Das ist aufwendig und kostet Zeit. Der Affe wird größer und größer, nimmt auf dem Schreibtisch immer mehr Platz ein. Ich muss also versuchen, den Affen loszuwerden. Meist lasse ich die Affen viel zu lange auf meinem Schreibtisch sitzen, bis sie so fett und bräsig sind, dass sie keiner mehr haben will.

Heute ist ein guter Tag: Mir ist es alles zu viel und ich WILL einige der Affen loswerden.

Als erstes stelle ich mir – typisch Beamtin – die Frage „Ist das überhaupt MEIN Affe?“ Ich lösche 243 SPAM und fühle mich schon prima. Die vermeintlich inhaltlich zu beantwortenden Mails von Pilgern zu Fragen, die sich gar nicht auf von mir beschriebene Strecken beziehen, aber zum Teil sehr zeitaufwändig zu recherchieren wären, werden mit einem Verweis auf bessere Ansprechpartner beantwortet. Ich weise meine große Tochter darauf hin, dass sie sich selbst etwas zum Anziehen heraussuchen kann. Ein großer Berg an Katalogen und Zeitschriften, die mich nicht interessieren, wandern auf den Müll. An mich delegierte Aufgaben der Nachbarin, von Freunden und Bekannten werden zurück delegiert. Es ist keine Stunde vergangen und die Zahl der Affen hat sich halbiert.

Handelt es sich wirklich um meinen Affen, um einen von meiner Mutter adoptierten Affen (denn sie versorgt ja auch viele meiner Affen) oder einen Affen meiner Töchter, der zu groß für sie ist, bin ich nun bereit, mich um ihn zu kümmern. Und zwar zunächst mit der Frage: „Wie werde ich das Viech am schnellsten los?„. Ich beantworte etwa ein Dutzend Lesermails, die jeweils mit 2-3 Sätzen zu beantworten sind. Das Formular meines Dienstherrn zum Familienzuschlag im Stehen ausgefüllt, während ich auf meinen Wasserkocher warte. Ein etwa 50 cm messender Stapel ungelesener Tageszeitungen wird auf Regional- und Reiseteil reduziert. Zwei behördliche Schreiben beantworte ich handschriftlich auf dem Original, stecke sie in den ursprünglichen Umschlag und klebe ihn zu. Das spart Zeit, Papier und Tinte.

Meine nächste Sichtungsrunde steht unter der Überschrift „Welchen Schaden richtet der Affe an, wenn ich mich nicht sofort um ihn kümmere?„. Wenn es gar nichts ausmacht, ob ich mich jetzt oder im August oder vielleicht sogar nie mehr um ihn kümmere, ist es ein genügsames kleines Tierchen und darf sich eine ruhige Kuschelecke ganz hinten auf meinem Schreibtisch suchen. Andere Exemplare zählen aber zu der schnell wachsenden Art: Wenn ich das Laken, auf das sich Cari heute morgen nach dem Genuss von zwei Handvoll Hundefutter erbrochen hat, nicht sofort wasche, schimmelt und modert es und ich kann es wegwerfen. Die Häufchen, die Bathida diese Nacht auf den Rasen gemacht hat, weil ihr Herrchen nicht mit ihr auf der abendlichen Hunderunde war, muss ich sofort wegmachen, sonst latschen die Mäuse rein und verbreiten das Chaos im ganzen Garten und Haus. Wenn ich die trockenen Blumen nicht bald gieße, brauche ich es nie mehr tun. Wenn ich die acht Arztrechnungen nicht bis Mittwoch bezahle, fallen 3, 4 oder sogar 5 Euro Verzugsgebühren an.

Damit bin ich dann schon bei meiner nächsten Frage: „Welche Affen kosten mich Geld?“ Dazu suche ich mir die sich seit Anfang März angestauten Rechnungen und Quittungen zurecht, um damit gleich morgen früh meine Abrechnungen für Beihilfe und private Zusatzversicherung zu erstellen. Offene Rechnungen an Verlage werden sofort per Mail angemahnt. In diese Kategorie gehört auch die Steuererklärung, für die ich allerdings mindestens zwei volle und kinderlose Tage einplanen muss.

Vorletzte Frage: „Ist der Affe eine Gefahr für unsere Gesundheit?„. Das ist schnell geklärt: die von meinem Experimentier-Team ausgekippten Trockenlinsen sind in 30 Sekunden aufgekehrt. Das Wasser in Bathidas Napf wird in noch kürzerer Zeit erneuert. Der Windeleimer ist leer, der Bioabfall auf dem Kompost. Fertig! An einem von Limonade klebrigen Küchenboden ist noch keiner gestorben. An herumliegenden Duplosteinen kann keiner ersticken. Der Hund wird nicht verdursten. Alles gut.

Nun werfe ich einen letzten Blick in die Runde und sehe nur noch wenige Affen. „Na, was für Affen seid ihr denn?„, frage ich sie freundlich. Sie sind zwar recht groß und pflegebedürftig, aber auch sehr wichtig für mein Leben. Das sind meine Buchprojekte, wichtige Leserbriefe, meine Freizeitideen mit den Kindern, meine Reisepläne, meine Entrümpelungschallenge, meine Lebenswünsche,…

Ich habe nur zwei Stunden mit meinen Affen verbracht und fühle mich richtig gut: Der absolut größte Teil von ihnen sitzt jetzt auf anderer Leute Schreibtisch. Die Affen auf meinem Schreibtisch kenne ich nun alle ganz genau und muss mir morgen nur noch überlegen, in welcher Reihenfolge ich sie füttere.

Dabei hilft mir allerdings ein anderes Tier: Der Frosch.

Frösche küssen

Eine ganz liebe Freundin, die über 70-jährig starb, als ich noch Studentin war, sagte mir einmal „Kind, du musst viele Frösche küssen, bis einer davon zum Prinzen wird.“ Das trifft auf viele Lebenssituationen zu, nicht nur auf die Partnerwahl. Und ob überhaupt ein Prinz dabei ist, kann mir ja auch niemand garantieren. Kern der Aussage blieb für mich aber: Wenn ich gar nicht anfange, Frösche zu küssen, stehen die Chancen auf einen Prinzen bei 0%. Also müssen auch unliebsame und eklige Dinge erledigt werden. Je früher, je besser, dann habe ich sie aus dem Kopf. Also nehme ich mir vor, ab sofort jeden Arbeitstag mit einem besonders widerlichen Frosch zu beginnen. Habe ich seinen Kuss hinter mir, kann ich mich guter Laune erfreulicheren Aufgaben widmen. Schiebe ich die unliebsame Aufgabe vor mir her, ist es ja so, als säße dieser stinkende, glitschige Frosch genau vor mir auf dem Schreibtisch, permanent das Maul zum Kuss gespitzt und um Aufmerksamkeit heischend. Auf meine anderen Aufgaben kann ich mich bei einem solchen Anblick nicht konzentrieren und bekomme am Ende noch Lippenherpes!

Was ich mache, wenn mehrere unangenehme Aufgaben auf mich warten, fragt ihr? Dann male ich auf einen Klebezettel zwei Frösche, streiche einen davon durch und schreibe drunter „Jeden Tag nur ein Frosch!“. Das habe ich noch nie gemacht, aber ich bin überzeugt davon, dass es hilft.

Käfer

Mein Frosch des Tages sind kleine Käferchen: Travelbugs, also Reisekäfer, die Geocacher in meinen Hauscache gesteckt haben. Seit einigen Wochen liegen vier davon auf meinem Schreibtisch. Ich müsste sie dringend loggen und wieder auf die Reise schicken. Immer wieder fehlt einer davon, weil die Mädels die Anhänger so schön finden. Das ist eine absolute Nichtigkeit, die mir aber zur Belastung wird, je länger der Zustand andauert. Also hat sich der Affe in einen Frosch verwandelt und muss unbedingt weg. Sofort! Ich finde wieder nur drei davon. Egal, dann eben nur drei. Dann war es eben nur ein kleiner Kuss für den Frosch, quasi „ohne Zunge“. Danach geht es mir besser, der Kopf ist irgendwie freier.

Obwohl Feiertag ist, gehe ich zum Briefkasten und finde dort einen Briefumschlag mit einem schnell gezeichneten Marienkäfer im Briefkasten. Kein Absender, kein Adressat. Kraft meiner Stellung als Hauseigentümerin öffne ich den Umschlag, darin finde ich drei Kapseln und ein Rezept meiner neuen Hausärztin. Wir haben erst für morgen einen Termin, aber sie hatte wohl gestern schon die Ergebnisse meiner Blutuntersuchung. Durch diesen netten und für Hausärzte untypischen Gruß kann ich schon zwei Tage früher meinen Eisenspeicher auffüllen.

Was heißt „neue Hausärztin“? Von meiner bisherigen Hausärztin bin ich am letzten Freitag einmal wieder mit unnützen Sprüchen, einer Fehldiagnose und einem unvollständigen Rezept nach Hause gekommen. Das war schon die dritte Fehldiagnose, meine Geduld war am Ende. Durch Zufall entdeckte ich am Freitagabend im Netz eine Ärztin, die vor etlichen Jahren Vertretungsärztin für meine Lieblingshausärztin Dr. Becker-Haase gewesen war und nun Anfang des Jahres eine eigene Praxis eröffnet hatte. Schon gleich am Montagmorgen fand ich Aufnahme bei ihr und sie konnte sich sogar noch an mich und meinen Beruf erinnern.

Es hat sich also gelohnt, den Frosch „Reisekäfer“ zu küssen – er verwandelte sich sofort in den Prinzen „Marienkäfer“. Welch ein niedlicher Zufall, der mir aber zeigt, dass mein Plan funktionieren könnte. Ich muss nur fest genug daran glauben und weiterhin naiv genug sein, um mich selbst mit Fabeln motivieren zu können. Ich bin aber sehr zuversichtlich, was meine Fähigkeit angeht, mich selbst hinters Licht zu führen.

3 thoughts on “Von Fröschen, Affen, und Käfern

  1. Das klingt sehr it interessant. Ich habe hier einige Affen und frösche, bin aber auch zwei Riesenaffen losgeworden, die nie Meine Affen waren, die ich aber dennoch mehr beachten musste, als meine eigenen. Jetzt kann ich mich wieder den eigenen Affen und Fröschen widmen.

  2. Liebe Ingrid!
    Danke für diesen Beitrag. Ich habe schon einiges über Produktivität gelesen, aber ich fühle mich oft nicht angesprochen. Ich denke, ohne Familie und Kinder kann man das so machen, aber mit drei Kindern… mmmhhh. Ich finde toll, dass das bei dir mit hineinschwingt: Das Kind, dass sich ergeben hat, es hält mich von anderen (wichtigen) Sachen ab, aber die Wäsche muss gewaschen werden. Dinge, die ganz natürlich mit zu den „Schreibtischaffen“ gezählt werden dürfen, wenn man Kinder hat, auch wenn sie nicht auf dem Schreibtisch liegen.
    Ich werde in Zukunft noch oft an deine „Affenordnung“ denken, ich danke dir dafür.
    Liebe Grüße
    Heike

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