Was in der Gesellschaft oft noch als ein Tabu-Thema gilt, ist in unserer Familie ein Alltagsthema. Und da ich aus den Blog-Statistiken zu Stuhl-Gang aus dem Frühjahr weiß, dass ihr auch vor solchen Themen nicht Halt macht, will ich euch nun etwas über Harn-Inkontinenz erzählen.

Wer jetzt „Too much information!“ denkt, darf nicht weiter lesen und muss eben auf den nächsten Blogartikel warten.

Anfang des Lebens

Jedes Neugeborene ist inkontinent. Wie lange es dauert, bis es windelfrei wird, hängt von sehr vielen Faktoren ab. Unsere Eltern haben uns ab dem ersten Geburtstag einfach aufs Töpfchen gesetzt und wir mussten so lange sitzen, bis etwas kam. Ob das nur ein zeitlicher Zufall oder eine bewusste Muskelkontrolle war, konnte unseren Müttern egal sein. Für diese Methode bin ich zu beschäftigt, zu weich und zu ungeduldig. Bei mir darf ein Kind deshalb so lange in Windeln herum laufen, wie es will.

Aurelia interessierte sich erst mit 2 1/2 Jahren überhaupt für die Toilette. Als sie dann erkannte, dass sie von den Little Dragons nur dann zu den Caterpillars wechseln kann, wenn sie windelfrei ist, entschied sie von heute auf morgen „Mama, keine Windel mehr!“. Wir einigten uns auf Rauf-Runter-Windeln, die meist nach einem Tag trocken entsorgt wurden, also ließ ich sie bald im Schrank. Tagsüber gab es ab dem Tag mit dem Aha-Erlebnis nur ganz wenige Unfälle. Dann war sie so in ein Spiel vertieft, dass sie nicht an die Toilette dachte. Auch nachts ging es von Anfang an in 95 % aller Fälle gut.

Das war für uns herrlich stressfrei und ich hoffe, dass es bei den beiden Kleinen ähnlich laufen wird. Ich glaube nicht, dass ich mit Hetze und Zwang bei diesen Sturköpfchen etwas erreicht hätte bzw. erreichen würde. Mehrere Altersgenossen von Aurelia, die schon vor dem zweiten Geburtstag aufs Töpfchen gezwungen wurden, waren erst mit fünf Jahren nachts trocken. Ich kenne ein sechsjähriges Mädchen und zwei Jungs von sieben bzw. acht Jahren, die nachts immer noch große Probleme haben.

Cari und Nele interessierten sich schon früher für die Toilette. Beide lieben das Klo-König-Buch und setzen sich seit ihrem zweiten Geburtstag immer ‚mal wieder aufs Töpfchen oder die Toilettenbrillenverkleinerung.

Bei Cari kommt Pipi auf Ansage und sie wird jedes Mal von den beiden Schwestern gefeiert wie ein Rockstar. Schade, dass der alte Kindergarten diesen Entwicklungsschritt nicht förderte, trotz etlicher Hinweise auf das Toilettentraining. Sonst wäre sie jetzt bestimmt schon viel weiter. Ich bin gespannt, welche Strategie der neue Kindergarten verfolgt.

Nele hingegen sitzt da, schaut an sich herab und ruft „Pipi komm!“. Nichts passiert, so sehr sie auch wartet und ruft. Wenn sie während unseres Urlaubs am Strand „auslief“, erschrak sie sogar, lachte dann und stellte schließlich sachlich fest „Nele Pipi gemacht!“. Es scheint bei ihr einfach noch keine Verbindung zwischen Kopf und Schließmuskel zu geben.

 

OP-Folgen

Bathida kam mit einer schweren Gebärmutterentzündung aus ihrer Gefangenschaft frei. Sie war nach der Entfernung der Gebärmutter inkontinent. Als sie zu uns kam, verlor sie täglich Urin, später bei übervoller Blase, inzwischen nur noch in Stresssituationen. Wie Nele scheint sie den Harnfluss gar nicht zu merken und schaut sich fragend um, wenn sie plötzlich in einer nassen Lache liegt. Wir können dies durch regelmäßige Hunderunden zwar abmildern, aber nicht vollkommen verhindern. Wie gut, dass wir nirgendwo Teppichboden haben!

 

Mitte des Lebens

Während der ersten Schwangerschaft machte man mir viel Angst vor Inkontinenz. Brav machte ich schon vor der Entbindung Beckenbodengymnastik war ganz stolz darauf, nach der Geburt keinerlei Symptome zu verspüren. Puh, Glück gehabt!

Leider aber nur nach der ersten Geburt. Nach der Zwillingsschwangerschaft hinderten mich auch Beckenboden- und Rückbildungsgymnastik nebst Kanga-Training nicht daran, bei Hustenanfällen, Nießattacken und Lachsalven kurzzeitig die Kontrolle über den Schließmuskel zu verlieren. Ich dachte noch, „Naja, nicht schlimm, muss ich eben Slipeinlagen tragen und öfters auf die Toilette gehen, wenn ich erkältet bin, einen COPD-Schub habe oder mit fröhlichen Menschen zusammen treffe.“

Doch es kam schlimmer. Seit ich in den Wechseljahren bin, habe ich Phasen, in denen ich auch ohne Husten, Nießen oder Lachen etwas Urin verliere, wenn die Blase zu voll ist. Nur leicht tröpfelig, nicht viel, aber genug, um mich darüber zu ärgern. Auch regelmäßiges und in den letzten Monaten verstärktes Beckenbodentraining hilft nicht. Wahrscheinlich weiß ich gar nicht, welchen Muskel ich genau ansprechen soll, bin also nicht wirklich weiter als Nele ;o)

Hübsche Osterdeko von Elanee (für diesen Gebrauch aber sicherlich überteuert ;o)

All die verschiedenen Beckenbodentrainer aus Apotheke und Internet wüsste ich gar nicht in meinen Alltag zu integrieren. Okay, ihr werdet sagen, dass ich mir einfach mehr Zeit für mich nehmen soll. Die Zeit allein ist es aber nicht. Mir fehlt es auch an Konsequenz und an guten Aufbewahrungsplätzen, die für meine Mäuse unerreichbar sind, dennoch aber bei mir nicht „aus den Augen – aus dem Sinn“ sind. Denn ich hatte da ein Erlebnis, des ich nicht vergessen werde: Nach der Geburt von Aurelia schenkte mir meine Hebamme die Beckenboden-Trainingshilfen von Elanee. Gut gemeint, damals dachte ich ja noch, dass ich sie gar nicht benötige. Nachdem Aurelia sie kurz vor der Geburt der Zwillinge in meiner Nachttischschublade gefunden und an den Osterstrauch im Vorgarten gehängt hatte, wollte ich sie auch nicht mehr für ihren bestimmungsgemäßen Gebrauch verwenden.

Ich muss also häufiger als früher auf die Toilette gehen. Kein Problem. Das ist eben so. Männer in meinem Alter haben es an der Prostata und müssen auch öfter flitzen, als 20 Jahre zuvor. Für Situationen, in denen ich nicht sicher bin, wann ich wieder auf die Pippibox komme, behelfe ich mir aktuell mit Binden, die ich noch übrig hatte.

Ansonsten vertraue ich darauf, dass es nicht noch schlimmer wird und hoffe, vielleicht doch noch eine alltagstaugliche Lösung zu finden.  So offen inzwischen im Fernsehen für Inkontinenzvorlagen und -Höschen geworben wird, so gerne würde ich noch bis zu meinem 102. Geburtstag ohne sie auskommen.

 

Ende des Lebens

Der Großvater meiner Töchter väterlicherseits geht förmlich ein, seit er wegen seiner Inkontinenz zunächst einen Blasenkatheder und seit einigen Wochen sogar Windeln ertragen muss. Er empfindet dies als derart demütigend, dass er die Lust am Leben verloren hat und außer seinen leiblichen Kindern keinen Besuch mehr erträgt.

Mein Opa Thöne war am Ende seines Lebens harninkontinent und schämte sich so sehr, dass er nach einem Weg suchte, aus dem Leben zu scheiden. Eine ganz liebe Krankenschwester traf den richtigen Ton, in dem sie ihm erklärte, dass ALLE Fähigkeiten, die man am Anfang des Lebens erlangt, am Ende wieder verloren gehen. Das war genau die Sprache, die er verstand. Er war ein humorvoller Mensch und schrieb mir folgendes auf:

Sei zufrieden, wenn du

  • mit 3 Jahren keine Windeln mehr brauchst
  • mit 6 Jahren Fahrrad fahren kannst
  • mit 12 Jahren gute Freunde hast
  • mit 18 Jahren schon den Führerschein hast
  • mit 20 Jahren schon einmal Sex hattest
  • mit 30 Jahren einen Beruf hast
  • mit 35 Jahren eine Familie hast
  • mit 55 Jahren noch eine Familie hast
  • mit 60 Jahren noch einen Beruf hast
  • mit 65 Jahren noch Sex hast
  • mit 70 Jahren noch den Führerschein hast
  • mit 75 Jahren noch gute Freunde hast
  • mit 80 Jahren noch Fahrrad fahren kannst
  • mit 85 Jahren noch keine Windeln brauchst.

Diesen Zettel habe ich Jahrzehnte aufgehoben, bis er ziemlich zerfleddert war – und dann abgeschrieben und mir zu Herzen genommen. Recht hatte er, mein Opa Thöne!

10 thoughts on “Nicht ganz dicht – Lasst uns über Inkontinenz sprechen

  1. Ich sach jetzt mal nix, aber kennich 🙁 und doll ist das echt nicht.
    Das LEben ist aber, wenn Frau das ausblendet, trotzdem super schön!!!

    Liebe Grüße
    Elke

  2. Ich danke dir für deine offenen Worte. Es ist in der Tat noch ein Tabu Thema. Wenn aber Mütter unter sich zusammen sitzen und die erste sich outet, erzählen auch die anderen von „Unfällen“ beim Lachen, Husten, Nieren und Hüpfen. Du bist nicht allein damit, aber weit und breit die Einzige, die offen darüber schreibt. Danke! <3

  3. Auch ohne Kinder aber mit Anfang 50 kann ich mich anstellen. Besonders bei Wanderung haben wir das Auto noch nicht ganz aus den Blick verloren, dann suche ich mir schon einen Busch. Zu Hause sind das Niesen und Husten.
    Et is wie et is, et kütt wie et kütt un es ist halt ned immer juut gejange.

    1. Du kannst dich aber auch anstellen 😉

      Wie gut, dass wir Wandersleut‘ es gewöhnt sind, in die Büsche zu sprinten. Reine Stadtkinder auf der Suche nach einem Stillen Örtchen mit hygienisch einwandfreier Brille dürften es deutlich schwerer haben in dieser Lage

  4. Mit Inkontinenz nach einer Geburt sollte man sich nicht abfinden, denke ich. Vielleicht eine Anregung für eine alltagstaugliche Lösung: Bei mir hat ein Beckenboden-Trainingsgerät mit Elektrostimulation sehr gut funktioniert. Man muss nicht selbst Muskeln anspannen (so dass man auch nichts falsch machen kann), sondern das wir durch eine Art Manschette erledigt, die man sich um Po und Oberschenkel anlegt. Ich habe das „Training“ immer Abends beim Abwaschen und Küche-Aufräumen gemacht. Nach zwei Monaten war ich wieder fit. Die Geräte sind eigentlich recht teuer, können aber vom Frauenarzt verordnet und nach Absprache von der Krankenkasse übernommen werden.

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