Als wir kürzlich den Ausflug nach Oberhof machten, war es wieder da: Das Gefühl, dass die Sprache im Thüringer Wald mir die fremdeste von allen ist.
Zwar habe empfinde ich den Dialekt der Sachsen als ganz besonders unangenehm für mein ästhetisches Wohlbefinden. Aber dort fühle ich mich wenigstens verstanden.
In Thüringen ist das anders. Als ich im Frühjahr 1995 dort meine Stelle antrat, musste ich mir in den ersten Wochen ein Büro mit meiner Mitarbeiterin teilen. Frau Schneider war eine sehr sympathische Mittfünfzigerin, die mich sofort in ihr Herz schloss und mir alles Organisatorische zeigte und erklärte.
Die Materialausgabe war immer montags. Zu dumm, dass ich an einem Dienstag angefangen hatte, ich war also fast eine Woche ohne Locher, Hefter & Co. Wir saßen nett erzählend einander gegenüber und ich bat sie, mir den Hefter zu reichen. Sie antwortete mit einem spontanen „No!“ sah mein irritiertes Gesicht und reichte mir den Hefter.
In der Bäckerei antwortete man mir auf meine Bestellung mit „No!“ und reichte mir meine Brötchen. Genauso ging es mir mit meiner Vermieterin, beim Einkaufen, beim Rostbratwurstkauf, bei der Erstuntersuchung des Amtsarztes. Wann immer ich um eine Sellbstverständlichkeit bat, bekam ich ein „No!“ zu hören – und man tat mir den Gefallen, um den ich gebeten hatte.
Ich verstand die Welt nicht mehr.
In jeder mir bekannten Kultursprache steht „no“ in all seinen verschiedenen Schreibweisen eine Ablehnung, ein „nein“.
Ich benötigte knappe drei Wochen, bevor ich erkannte, dass die Thüringer gar nicht so unhöflich oder verschroben sind, wie ich vermutete.
Wenn sie „No!“ sagen, wollen sie etwas besonders deutlich bejahen, etwa wie ein „Na klar!“ in Hannover oder ein „Nu klar!“ in Dresden. Die Thüringer sind also beim bestätigen auch noch maulfaul und wollen eigentlich „No klar!“ sagen. Das hätte dann sogar ich verstanden…
An dem Tag, an dem ich das thüringische „No!“ entschlüsselte, kam ich mir vor wie ein Sprachgenie. Zwar bin ich bis heute nicht ganz sicher, ob es sich eher von „Na klar!“ oder eher von einem zögerlichen/widerwilligen „Nun ja!“ ableitet, aber ich hatte das vermeintlich ablehnende Wort als Zustimmung entlarvt!
Frau Schneider und ich lachten noch lange darüber. Sie wiederum konnte mit meinem „Nö!“ nichts anfangen, das war für sie ein nicht ernst gemeintes „Nein“, ein „Neinchen“, wie sie es nannte. Und gemeinsam amüsierten wir uns über das „Nu nee!“ im Osten Thüringens, das wohl eine ähnliche Bedeutung wie „Niemals!“ hat.
Eine Lehre habe ich daraus gezogen: Es reicht nicht, vor einer Indienreise zu wissen, dass man dort statt unseres bejahenden Kopfnickens, mit dem Kopf schüttelt (die Kopfbewegung ist aber eindeutig vom verneinenden Kopfschütteln zu unterscheiden). Auch im Inland kann ich auf Sprachbarrieren stoßen.
Als ich das erste mal mit einem Überlandbus in Griechenland…naja über Land fuhr, waren dort, wie hier auch, viele mit den Handys zugange. Jedesmal meldetenen sie sich mit Ναι was etwa nää ausgesprochen wird. Damals konnte ich noch gar kein Griechisch (heute kann ich wenigstens höflich „Wie gehts“ fragen und darauf antworten) . Im griechischen heisst Ναι Ja und Οχι (gesprochen ochi)Nein. Die meldeten sich also alle einfach nur mit JA am Handy (was ich auch schon unhöflich finde).
Auch das „Problem“ mit dem Nicken gibt es in Griechenland auch.