Silke fragte in ihrer Blogparade Fremdsprech nach unseren Sprachkennissen und nach unseren Gefühlen beim Reisen in Ländern, deren Sprache wir nicht beherrschen.
Ich fange mit der zweiten Frage an: Mein Gefühl bei Reisen
Bin ich unterwegs, habe ich grundsätzlich Zweifel daran, dass man mich versteht.
Selbst in Deutschland habe ich Situationen erlebt, in denen ich nur hilflos jammern wollte: „Keiner versteht mich – nur einer, und der falsch!“
Ich habe in Augsburg* studiert und in Thüringen** gearbeitet, das sind zwei Regionen, in denen ich die Eingeborenen schlechter verstehe als in Belgien, Holland und Luxemburg zusammen!
*dort wollte mir doch die Bäckersfrau glatt weismachen, sie wisse nicht, was ein Brötchen sei und verkaufte es mir nicht einmal, als ich Semmel sagte, weil es eine LAUGENsemmel war!
**dort habe ich drei Wochen gebraucht, um zu begreifen, dass no gar keine Verneinung ist, darüber hatte ich vor ziemlich genau zwei Jahren im Blog No! berichtet
Da ich in einer Jugendherberge groß geworden bin, erfuhr ich jeden Tag die Hilflosigkeit von Menschen, die ins Ausland gereist waren, ohne die entsprechende Sprache zumindest auf Survival-Niveau zu sprechen. Meine Mutter und ihr damaliger Lebensgefährte sprachen leider nur dreieinhalb Worte Englisch und keine andere Sprachen. Die Verzweiflung auf beiden Seiten konnte ich manchmal in Scheiben schneiden.
Es gab auch lustige Momente, nämlich als meine Mutter nach etwa 20 Minuten immer noch nicht wusste, was der Mensch vor ihr denn eigentlich wollte, immerhin die Sprache als Französisch identifiziert hatte und sich dann an das Lied Voulez vous coucher avec moi ce soir erinnerte. Sie summte es vor sich hin und bastelte sich die Frage Voulez vous coucher? zusammen. Er antwortete Yes! und begann ein freudiges Ganzkörpernicken – nächste Frage meiner Mutter: ce soir? – Wieder Yes! und Ganzkörpernicken. Dann eine kurze Denkpause und ein schnelles Mais pas „avec moi“! Den Witz verstanden wir sofort – über alle Sprachgrenzen hinaus. Zum Glück war ich inzwischen hinzu gekommen und konnte zu den Details wie Zimmernummer, Frühstückzeit und Preis übersetzen, nachdem wir uns nach einem kollektiven Lachanfall wieder beruhigt hatten.
Wenn ich unterwegs bin, versuche ich immer, zumindest einige Survival-Phrasen zu lernen. Das ist ein fast hoffnungsloses Unterfangen, denn ich bin richtig richtig schlecht im Vokabellernen. Ich pauke jede einzelne Vokabel wochenlang ein, doch einmal Stolpern reicht, um sie wieder aus dem Kopf plumpsen zu sehen.
Und welche Sprachen spreche ich?
- Deutsch: Mein Vater kam aus der Eifel, meine Mutter aus der Mark Brandenburg. Gemeinsame Sprache war Deutsch, und zwar möglichst ohne Dialekt. Wie Bibo in ihrem Beitrag Ja ni snaju zu dieser Blogparade schrieb, war es damals – zumindest im Kölner Raum – unfein, Dialekt zu sprechen, egal welchen.
Nach dem Tod meines Vaters lernte meine Mutter einen Badenser kennen. Auch von ihm konnte ich nur Hochdeutsch lernen, weil er seinen Dialekt nur bei Telefonaten und Besuchen in der Heimat sprach. - Kölsch ist quasi meine erste Fremdsprache. Alle Kinder in unserer Straße sprachen Kölsch, auch die Metzgersfrau, der Dorfschutzmann und der Direktor unserer Grundschule. In der Siedlung gab es den durchaus zutreffenden Spruch Mr kalle Kölsch, Deutsch – un üvver de Lück!
Daher gewöhnte ich mir im Umgang mit Rheinländern eine Art Hochdeutsch mit Knaubeln an, auch den rheinischen Singsang kann ich nicht bestreiten.
Aktiv bin ich in meinen Möglichkeiten begrenzt, aber mein passiver Wortschatz ist gut. Ich kann sogar im Hänneschen-Theater, im Monreal-Spielkreis und im Divertissementchen synchron übersetzen.
Das Kölsch hat mir sogar bei meiner nächsten Fremdsprache geholfen. Denn das Gerundium wird in Kölsch und Englisch fast gleich gebildet: Isch bin am luure (= I am looking) oder Mr sin de Schnüss am schwaade (= we are chatting).
Als Studentin belegte ich sogar ein Semester Kölsch för Juriste. Während meiner gesamten Ausbildung habe ich nicht so sehr gelacht wie in diesen Vorlesungen. Aber sie haben mir geholfen, später bei Gericht die Aussagen von Zeugen, Opfern und Angeklagten us em Fringsveedel oder vun dr schäl Sick besser zu verstehen. Denn ohne Sprachkenntnisse hätte ich dem Angeklagten ja gar nicht klar machen können, dass die Zeugin, die ihn als Füttchensföhler beschimpfte, die Basis für seine Verurteilung wegen sexueller Nötigung gelegt hatte.
In dieser Zeit kaufte ich mir auch immer wieder Hörkassetten von Konrad Beikircher, der mit Wie isset? – Jot! und anderen Titeln aufs Feinste erklärte, was es mit dem rheinischen wäm-sing-Genitiv und anderen grammatikalischen Besonderheiten auf sich hat. - Englisch war die erste Fremdsprache an der Schule. Mir machte die Lehrerin schon in der ersten Stunde klar, dass ich ein Sprachdepp bin, denn sie zeigte sich überrascht darüber, dass ich nicht einmal auf good morning geantwortet hatte, als sie erstmals die Klasse betreten hatte. Sie hatte wohl mit Vorkenntnissen gerechnet. Ein Beginn mit 10 Jahren ist definitiv zu spät. Ich kann mich zwar weltweit prima in Englisch unterhalten, auch über schwierige Themen bei einer Recherche oder als Parent Representative in der Schule oder als Schwätzchen mit einer Mutter, aber ich fühle mich in dieser Sprache nicht zuhause. Sie ist und bleibt eine FREMDsprache für mich. Ich muss mir beim Lernen jede Vokabel erkämpfen und suche im Gespräch manchmal nach dem richtigen Wort. Meine Unfähigkeit, Sprachen zu erlernen ist der Grund für die Schulwahl bei meinen Kindern. Ganz nach dem Motto Mein Kind soll es ‚mal besser haben als ich.
Witziges dabei: Wenn ich lange im Land war, nehme ich, ohne es selbst zu merken, den Dialekt/Akzent an. Nach dem Abi verbrachte ich fünf Wochen in Wales und wurde danach in London Heathrow gefragt Which part of Wales do you come from? Nach einem längeren Aufenthalt in Indien machte mich jeder auf den typisch indischen Singsang aufmerksam, wenn ich Englisch sprach.
Ein englisches Wort haben wir auf sehr raue Weise gelernt. Wir waren mit dem Landy in Wales unterwegs, am Straßenrand warte ein rot umrandetes Dreieck vor Humps. Stephan fragte mich noch „Was ist denn ein Hump?“, als wir schon über einen Schweller flogen, der uns bei jedem anderen Fabrikat einen Achsbruch beschert hatte. Alles flog durchs Auto, das Mittagessen machte im Magen hump und wir wussten, wie das englische Wort für Hubbel oder Buckel heißt.
Durch meine Kinder lerne ich nun auch viel alltagstaugliches Englisch wie yummy und yucky, wenn es gut oder schlecht schmeckt. In der l’Osteria wurde mir voriges Jahr beim Anblick meiner glücklich mit vom Pizzabäcker geschenktem Pizzateig knetenden Kinder klar, warum Knete in Englisch playdough heißt und warum Aurelia beim Backen immer fragt, ob sie auch den dough kneten darf. Was für eine logische Wortschöpfung: Spielteig. Klingt für mich viel passender als Knetgummi! - Latein war dann die zweite Fremdsprache. Theoretisch hätte ich die Wahl zwischen Latein und Französisch gehabt, aber meine Mutter hatte mich in den Lateinkurs eingetragen, weil ihr eine Ärztin oder Juristin als Tochter vorschwebte. Außerdem hatte sie irgendwo gelesen, dass Lateinunterricht eine gute Basis für analytisches Denken und die Naturwissenschaften ist.
Nie in meinem Leben habe ich mich so dumm und nutzlos gefühlt, wie in den Lateinstunden. Ich habe gepaukt und gepaukt. Ich habe auswendig gelernt, mir von unserem Klassenprimus Nachhilfe geben lassen, doch es wollte einfach kein Latein in mein Hirn, als gäbe es dort eine Membran, die nur Worte anderer Sprachen durchlässt. Jede Klausur war ein Debakel. Das einzige, was ich dort lernte, war der Umgang mit Pfuschzetteln und das unauffällige Abschreiben vom Nebenmann. Es lag nicht an den Lehrern, der eine hat den Unterricht sogar mit zwei Latein-Asterix Aufpeppen wollen. In meinem biologischen Computer gibt es wohl einen Hardwareschaden im Bereich des Fremdsprachenerwerbs.
Ich habe es bis zum Großen Lat(r)inum geschafft. Der entsprechende Nachweis half mir später tatsächlich bei meinem Jura-Studium in Augsburg. Aber ich kann kein Latein. Nicht ein Wort. Wenn ich im Kreuzworträtsel lat. vor lese, leite ich mir die Antwort ante vom Loriot-Film Papa ante portas ab. - Französisch: nahm ich im 9. Schuljahr dazu, merkte schon nach einigen Wochen, dass ich den Anschluss verpasse, schrieb drei Klausuren ungenügend und wählte Französisch zum Halbjahreszeugnis schnell ab, damit es im zweiten Halbjahr nicht versetzungsgefährdend werden konnte.
Gelernt habe ich Französisch im Land: Als Segelhelferin in der Bretagne, als Urlauberin in der Normandie und am Mittelmeer, bei meinen Reiseführerrecherchen in der Schweiz, auf den französischen Jakobswegen und in Tunesien.
Bei einer Reise in die Hürther Partnerstadt Argelès-sur-Mer saß ich dann auch noch einem Spaßvogel von Bäcker auf. Am ersten Morgen bestellte ich bei ihm Ühn Bagett, er lächelte mich an und überreichte mir mir großer Geste Ühne Bagette. Aha, wohl ein anderer Dialekt, dachte ich. Am nächsten Morgen dachte ich, es richtig zu machen und bestellte Ühne Bagette, und bekam mit einem Lächeln Ö Bagett von ihm überreicht. Oh, hatte ich mich gestern Morgen verhört und es war un statt une? Also gut, ich bestellte am dritten Morgen Ö Bagett – und erhielt mit breitestem Grinsen Ühn Bagett! Na warte, dachte ich und bestellte am nächsten Morgen dö Bagett. Mein Plan ging auf: Der Bäcker lachte Tränen, korrigierte mich dieses Mal nicht und schenkte mir sogar noch zwei Croissants zu meinen zwei köstlich duftenden, noch warmen Broten. - Italienisch fand ich attraktiv, weil die Italiener gutes Eis, gute Pizza und guten Fußball hatten. Der spätere Torschützenkönig Paolo Rossi hatte es mir angetan. Also meldete ich mich als Schülerin zu einem VHS-Kurs an, der leider nach zwei Semestern einschlief. Diese Sprache spreche ich kaum, aber mag sie sehr. Meine Kenntnisse reichten aus, um mehrfach für die Pilgerführer über die Via Francigena und die Via Degli Dei nach Italien zu reisen. Dort lernte ich dann sehr viele Wörter, die genau auf mich zugeschnitten waren, weil sie sich aus der Recherchesituation ergaben oder im Zusammenhang mit meinem vierbeinigen Begleiter fielen. Ich war verblüfft über die Ähnlichkeiten mit dem Französischen. So lernte ich schon kurz hinter der Sprachgrenze im Aostatal, dass Neufundländer Terranova heißen (na klar, terreneuve in fr., wörtlich neues Land, also ist der Fund in diesen beiden Sprachen nicht so wichtig) und aus dem petit ours der Schweizer wurde bei den Italienern ein piccolo urso, wenn von meinem Bärchen die Rede war.
- Spanisch finde ich scheußlich. Ich habe dieser Sprache aber im 11. Schuljahr trotzdem eine Chance gegeben, weil mein Klassenlehrer mir am Ende des 10. Schuljahrs gesagt hatte, dass Spanisch in so vielen Ländern gesprochen wird, dass sich ein gewisser Grundwortschatz lohnt. In der Mitte der zweiten Lernwoche war er es aber auch, der nach Rücksprache mit dem Spanischlehrer auf mich zu kam und mir eindringlich riet, noch während der 14-tägigen Probephase den Kurs zu wechseln, wenn ich im Abizeugnis vernünftige Noten stehen haben wollte.
Wenn ich unterwegs Spanischkenntnisse benötige, leite ich sie mir aus dem Italienischen oder aus den jeweiligen Mallorca-Sommerhits à la Vamos a la playa ab. - Walisisch spreche ich nicht gut, verstehe aber relativ viel, wenn ich es lese oder mein Gegenüber langsam spricht. Diese Sprache ist ein typisches Beispiel für die Achtung, die man nach meinem Empfinden seinem Gastland entgegenbringen sollte. Jeder Waliser spricht auch Englisch. Aber das ist nicht die Landessprache. Begrüße ich die B&B-Lady morgens mit einem Bore Da, geht in ihrem Gesicht die Sonne auf. Bedanke ich mich nach einer (englischen) Wegbeschreibung mit Diolch yn fawr, freut sich mein Gegenüber ebenso deutlich. Bestelle ich unterwegs im Café Un cwpan o dde, werde ich unter Garantie schneller bedient als die Engländer am Nebentisch. Proste ich im Pub meinem Gegenüber mit Iechyd Da! zu, fällt der Einstieg in ein Gespräch viel leichter.
- Malayalam, Telugu, Tamil, Hindi: Für meine Indienreise lernte ich ein paar wichtige Sätze in den Regionalsprachen meiner Gastleute und in Hindi. Das half mir in einem Dorfentwicklungsprojekt, in einer Provinzklinik und im Gespräch mit den Eltern meines Patenkindes. Leider ist davon nicht mehr abrufbar als haa (Hindi: ja), namaste (Hindi: hallo) und Nandi (Tamil: Danke).
- Portugiesisch wollte ich für eine Reise nach Madeira lernen und lernte wochenlang einige Survival-Phrasen auswendig, die ich aber schon wieder vergessen hatte, bevor das Flugzeug zur Landung ansetzte. Trotzdem merkte ich, dass sich die einheimischen freuten, dass ich zu allem, was mir Gutes widerfuhr obrigada sagte. Von einem Wanderführer erfuhr ich dann, dass ich mich allein mit diesem Wort schon von der Masse der deutschen Touristen abhebe, die entweder einfach stur bei ihrem Danke bleiben oder – nach dem Motto Portugiesisch ist ja auch nur ein spanischer Dialekt – konstant Gracias sagten, und zwar unabhängig davon, wie oft ihnen erklärt wurde, dass es obrigado bzw. obrigada heißt.
- Tunesisch-Arabisch blieb mir leider weitgehend verwehrt, denn so gut wie alle Tunesier sprechen Französisch.
Einige imponierten mir zudem mit sehr guten Deutsch-, Englisch-, Italienisch- und Tschechisch-Kenntnissen. In meinem kleinen Sprachspatzenhirn blieben nur Shukran (danke), Asif (Entschuldigung), Aiwa und La (Ja und nein) und Imschi (verpiss dich) hängen. Auch ein Semester an der VHS half nicht weiter, weil der Lehrer gar nicht an Sprachvermittlung im Sinne von Sprechen dachte, sondern mit uns arabische Schönschrift üben wollte und sein Konzept nicht einmal änderte, als immer mehr Kursteilnehmer absprangen oder sich bei der VHS beschwerten. Immerhin kann ich dadurch die drei Namensschilder auseinander halten, die meine Mädels beim International Day in der Schule von einer Tunesischen Mutter geschrieben bekamen, denn ich kann die ersten Buchstaben entziffern: Das A von Aurelia ist ein langer Strich (wie ein großes i oder ein kleines L) mit allerlei Geschnörkel obendrauf, der K-Laut bei Cari sieht aus wie das große K ohne den linken Strich und das N bei Nele wie eine Nase. Das Geld für diesen Kurs war also nur zu 90 % in den Sand gesetzt…
- Niederländisch würde ich gerne lernen, scheitere aber an meinem eigenen Vorurteil. Wenn ein Niederländer oder Flame langsam spricht, verstehe ich ihn. Antworte ich op kölsch, versteht er mich. Also hat sich in meinem Unterbewusstsein die Theorie festgesetzt, dass es sich wohl eher um eine Halskrankheit, als um eine Sprache handelt. Nichtsdestotrotz gibt es einige wunderschöne Wörter in dieser Sprache, die es mir angetan haben. Hört sich kopje koffie nicht viel schöner an als Tasse Kaffee? Die passende Kanne heißt Koffiepot, dafür brauche ich auch keine Sprachkenntnisse, so heißt es bei uns auch.Wenn Fiets ein Fahrrad ist, ist das Wort Bromfiets selbsterklärend und ein Bromfietsverhuur auch ohne Sprachkenntnisse als Mopedverleih erkennbar. Wir sagen Kabuff bzw. Komboff, wenn ihr Abstellraum sagt. Wir trecke bzw. trekken, wenn ihr zieht. Wir essen einen Äädappel bzw. Ardappel, wenn ihr eine Kartoffel esst, dazu gibt es Sprühtsche/Spruute bzw. spruitjes. Hier ist selbst das englische Brussel sprouts noch näher am Niederländischen und Kölschen, gemeint ist Rosenkohl!
Wie polyglott seid ihr? Beherrscht ihr irgendeine Fremdsprache auf Muttersprachlerniveau? Falls ja, wie war euer Weg dorthin?
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