Für viele Menschen, ist es gar kein Thema: Sie gehören dazu.
Zu einer Familie, zu einem Sportverein, zu einem Freundeskreis, zu einem Wasweißich. Ist auch egal, aber sie gehören dazu.
Das ist für sie Fakt, Status und Selbstverständlichkeit.
Eine besondere Begegnung
Am vergangenen Donnerstag fiel mir in der Schule ein kleines Mädchen auf, das bitterlich weinend auf einer Bank im Flur saß. Ich sprach sie an und wollte sie trösten. Mit Englisch und Deutsch kam ich nicht weiter, aber sie presste sich weinend an mich und kletterte auf meinen Schoß, als ich mich neben sie setzte. Ich war überrascht und gerührt zugleich. Immer noch von Schluchzern geschüttelt konnte sie inzwischen Worte bilden, die mir französisch vorkamen. Ein Strahlen ging durch ihr Gesicht, als sie merkte, dass ich nun in ihrer Sprache mit ihr redete.
Und so erzählte sie mir, dass sie neu in der Schule ist und sooooo gerne dazu gehören würde. Aber sie sprach weder Deutsch noch Englisch, konnte also weder mitreden noch mitspielen. Doch ohne die Spielregeln zu verstehen, traute sie sich auch nicht, einfach mitzumachen. Wir sprachen lange.
Sie hatte so viele Fragen zum täglichen Ablauf in der Schule, aber sie wollte die Lehrerin und ihre Eltern (mitten im Umzugsstress) damit nicht behelligen. Ich beantwortete einige ihrer Fragen und erzählte ihr, dass ich mindestens vier französische Kinder in der Schule kenne und wollte ihr grade vorschlagen, ihre Lehrerin nach Schülern in ihrem Alter zu fragen, als diese – wie auf’s Stichwort – um die Ecke kam.
Sie hatte das Mädchen schon auf dem Schulhof in bei den Toiletten gesucht und war glücklich, es gefunden zu haben. Mit dem Versprechen, ihr sofort in der nächsten Pause französischsprachige Kinder vorzustellen, brachte sie das Mädchen dazu, wieder mit in die Klasse zu kommen. Ich weiß nicht, wie das ausgeht, aber ich hoffe auf ein Happy End für dieses Mädchen, das einfach nur dazu gehören möchte.
„Jaja, was soll es, das ist doch immer so, wenn man irgendwo neu ist“, werdet ihr sagen. „Warte ‚mal ein paar Wochen, dann hat sie bestimmt Freunde gefunden und fühlt sich auch in der Klasse dazugehörig“.
Für mich ist dies alles andere als selbstverständlich. Ich habe es anders kennengelernt. Und das, obwohl ich nie mitten im Schuljahr in eine neue Klasse kam, geschweige denn mit Sprachbarriere. Ich weiß, wie es ist, denn als Kind (und auch jetzt noch) war ich öfter außen vor, als Teil einer Gruppe zu sein.
Familie
Mein Vater starb, als ich drei Jahre alt war. Geschwister habe ich keine. Mehr als die Hälfte meiner weiteren Verwandtschaft war durch die innerdeutsche Grenze von meiner Mutter und mir getrennt – und schwierig erreichbar. Nach dem Tod der einzigen Großmutter, die ich überhaupt kennen lernte, zerstritt sich der westdeutsche Teil meiner Sippe. Ich kenne also kein Leben in einer vollständigen Familie.
Schulzeit
In der Schule durfte ich wegen meiner Chlorallergie nicht am Schwimmunterricht teilnehmen und wurde entsprechend gar nicht gefragt, ob ich mitkomme, wenn sich andere nachmittags fürs Freibad verabredeten.
Noch brutaler war die Nikotinallergie, wegen der ich in meinem Leben noch keine Disko von innen gesehen habe. Jeder riet mir als junges Mädchen davon ab, weil dort so viel geraucht wurde.
Und das Schlimmste: Der Verzicht auf Diskobesuche hat sich nicht einmal gelohnt, ich leide trotzdem unter COPD, einer Lungenkrankheit, die sich eigentlich am liebsten starke Raucher als Opfer sucht.
Wobei ich allerdings gar nicht weiß, ob und was ich in den Diskos verpasst haben könnte: ich tanze so grazil wie ein gestrandeter Pottwal. Aber ich kam mir ziemlich ausgegrenzt vor, wenn die anderen im Schwimmbad oder in der Disko waren.
Naturfreundejugendgruppe
Die Jugendgruppe bei den Naturfreunden war kurzzeitig eine heile Welt für mich. Ich gehörte dazu. Obwohl die anderen deutlich älter waren, fühlte ich mich als vollwertiger Teil einer Gemeinschaft. Wir kochten zusammen, standen zusammen in der Dunkelkammer, lachten kreischend über Woody Allens „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten“, bereiteten riesige Karnevalsfeiern vor, formulierten gemeinsam Kriegsdienstverweigerungen, markierten Wanderwege, halfen im Naturfreundehaus bei der Gästebetreuung, führten Wasseruntersuchungen durch, malten Plakate für die Ostermärsche und fuhren jedes Wochenende im Sommerhalbjahr zum Zelten und Paddeln an die Rur. Nach der Teestube radelten wir im Sommer zum Bleibtreusee, um im Mondlicht schwimmen zu gehen. Viel zu schnell zerstreute sich diese Gruppe, weil unsere Studien- und Arbeitsorte über das ganze Bundesgebiet verteilt lagen und einige Gruppenmitglieder schon früh Familien gründeten.
Studium
Kurz vor dem Examen lernte ich im Repetitorium einige Frauen kennen und wir schlossen uns zum Pauken zusammen. Diese Lerngruppe traf sich auch nach dem Examen regelmäßig weiter. Hier hätte ich gut und gerne weiter Zugehörigkeitsgefühle hegen können, wenn mir die Gespräche nicht so schnell auf den Wecker gegangen wären. Bei der Begrüßung wurden wenige Minuten lang ein paar Neuigkeiten ausgetauscht, wer hat sich wo beworben – eine Stelle bekommen – ist schwanger geworden – ins Ausland gegangen?
Doch der eigentliche Schwerpunkt lag auf dem allmonatlichen Wiederkäuen vieler „Weißt du noch?!“-Anekdoten. Das langweilte mich an manch einem Abend, manchmal ärgerte es mich aber auch, weil sich von Mal zu Mal die Erzählungen weiter vom tatsächlich Erlebten entfernten. Musste ich wegen meiner beruflichen Abwesenheit mehrere Male in Folge aussetzen, erkannte ich Geschichten nicht mehr wieder, in denen ich selbst angeblich die Hauptrolle spielte. Ich nahm immer seltener teil und nannte es innerlich „Zombietreffen“.
DRK
Nächster Versuch: Deutsches Rotes Kreuz. Dort bin ich zwar seit über 30 Jahren Mitglied, hatte aber nur ganz selten das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Viel zu oft bekam ich Sonderstellungen in Leitungsfunktionen oder als Ausbilderin aufgeschwatzt, als ich einfach nur eine von vielen hätte sein wollen. Ich scheue die Verantwortung in einer Führungsposition nicht, aber als einfache Kradmelderin oder Sanitätshelferin hatte ich viel mehr Spass an meinen DRK-Diensten als später als Kreisbereitschaftsleiterin oder Fachdienstleiterin für den Betreuungsdienst. Blöd nur, dass mir all diese Aus- und Weiterbildungen auch Spass machten, weil ich dann als Kursteilnehmerin kurzzeitig wieder Teil einer Gemeinschaft war. Am Ende konnte ich zwar sogar Teilnahmebescheinigungen für Stromversorgung im Einsatz, Trinkwasseraufbereitung und Psychosoziale Notfallversorgung vorweisen, war auch nicht häufiger in einem Einsatz, der mir ein Gruppengefühl vermittelte. Auch hier war ich viel zu selten Teil der Gruppe, die Abkürzung DRK = Die Retten Keinen traf also auch auf mich zu.
Bookcrossing-Stammtisch
Vor Aurelias Geburt war ich sieben Jahre lang ziemlich aktive Bookcrosserin. Ich habe Bücher nicht nur ausgewildert, sondern mich auch mit Gleichgesinnten einmal monatlich in Köln und mehrfach pro Jahr zu regionalen oder überregionalen Veranstaltungen getroffen. Am Bookcrosssing-Stammtisch lernte ich sehr nette Menschen kennen, mit denen ich gut quatschen konnte und die zum Teil sogar meine Leidenschaft fürs Wandern und/oder Geocaching teilten. Sogar bei meiner vorletzten Offa’s Dyke Wanderung machten wir einen zweitägigen Abstecher nach Shrewsbury, um dort an einem Bookcrossing-Treffen teilzunehmen.
Aber wie es so geht: ein paarmal war ich noch mit dem Baby bei den Meetings. Als es nicht mehr brav auf dem Schoß sitzen blieb und die anderen Cafébesucher mit seinem Gekrabbel und Gebrabbel belästigte, blieb ich lieber zuhause. Wie schön, dass einige dieser Kontakte dennoch fortleben und wir gegenseitig unsere Blogs lesen und kommentieren. Witzig, das ist ein ziemlich loser Haufen, aber hier fühle ich mich zugehörig, obwohl ich mich seit Jahren nicht mehr sehen gelassen habe. Verrückt, oder?
Mamigruppen
Andere Schwangere machten etliche Kurse, in denen sie schon Kontakte für die Babyzeit knüpften. Sie wurden von ihren Freundinnen und/oder Arbeitskolleginnen mit einer Babyshower-Party überrascht. Ich habe keine Freundinnen, keine Arbeitskollegen und nahm nicht an einem einzigen Geburtsvorbereitungskurs teil, in dem ich andere Frauen hätte kennen lernen können. Aus den verschiedenen Krabbelgruppen oder beim Babyschwimmen gelang es mir nicht, eine Freundschaft zu knüpfen.
Bei Treffen der Pekipgruppe nach Abschluss unseres Kurses nahm ich gerne teil, so lange sie noch tagsüber für die Kinder waren. Als sich aber die Mütter abends zum Cocktailtrinken trafen, war ich nur einmal mit dabei. Alle anderen Kinder wurden von den Vätern ins Bett gebracht und gehütet. Der Vater meines Kindes rief mich schon in der ersten Stunde mehrfach wegen Nichtigkeiten an, bis mir die Lust verging und ich nach Hause fuhr. Damit hatte sich das Ausgehen mit anderen Müttern für mich auch erledigt.
FEG
Ein – in der Rückschau – von Anfang an aussichtsloser Versuch war es, mir eine Glaubensgemeinschaft zu suchen, zu der ich gehöre. In die Katholische Kirche hineingeboren, drohte mir der Dorfpastor mit Exkommunikation, als ich eine zweite Ehe ins Auge fasste. Ich kam ihm zuvor, indem ich aus der Kirche austrat.
Die evangelische Kirche fand ich ganz interessant, kannte sie auch von Freunden recht gut, aber es fehlte mir vor Ort eine Gemeinde, in der ich mich zuhause fühlen konnte.
Der Vater meiner Kinder steht der Freien evangelischen Gemeinde nahe, also begleitete ich ihn in den ersten Jahren zu den Gottesdiensten. Ich habe selten solche plumpen und grenzüberschreitenden Menschen kennengelernt, wie in den FEGs in Friedberg, Köln und Brühl: Als Neuling wurde man (nein: Mann) als erstes gefragt, was man beruflich macht. Frauen wurden nach der Zahl der Kinder gefragt – oft noch vor dem Austausch von Tageszeiten und Namen! Damals unglücklich ungewollt kinderlos hatte ich schon nach der Einstiegsfrage die Nase voll. Ddenn es tat mir sehr weh, wildfremden Menschen zu sagen, dass ich keine Kinder habe, aber gerne welche hätte.
Die Glaubensregeln waren streng, herzlos und zum Teil bizarr, der Umgang mit mir schwankte zwischen eloquenter Missionierung und vollkommener Ablehnung meiner Glaubensgrundsätze. Man nahm uns sogar mit auf eine Gemeindefahrt, machte mir aber in jedem Workshop und bei jeder Mahlzeit deutlich, dass ich meine Einstellung zur Bibel schleunigst ändern müsse. Jede Woche betete die Gemeinde für neue Mitglieder, brachte es aber auch nach Jahren nicht fertig, uns (oder zumindest den richtiggläubigen Herrn) auf eine Mitgliedschaft anzusprechen.
Mit Baby saß man in einen Glaskasten mit Lautsprecherübertragung hinter den anderen Gläubigen, um diese nicht zu stören. Wenn ich dort aber mit meinem Kind spielte, bekam ich ohnehin nichts vom Gottesdienst mit. Manchmal waren andere Mütter (die Väter saßen lieber ungestört im großen Saal) mit ihren Kleinkindern dort, oft war ich allein. Nach drei Sonntagen in Folge, die ich in diesem kargen und zugigen Räumchen ganz allein mit Aurelia verbracht hatte, zog ich es vor, mich mit ihr am Sonntagvormittag in unserem kuscheligen Zuhause aufzuhalten und ihr von dem Gott zu erzählen, an den ich glaube und der keinen auf diese ignorante Art ausschließen würde.
Sozialverträglichkeit
Wenn ich eins gut kann, dann ist es: Danebengreifen bei der Partnerwahl. Äußerlich waren die Männer, für die ich mich entschied, sehr unterschiedlich. Was sie einte, war ihr Drang, mir meine Freunde schlecht zu reden. Die Menschen, die mich gerne hatten, wurden durch dumme Sprüche, abfällige Bemerkungen oder unfaires Taktieren vergrault.
Immer wenn ich mir wieder einen Freundeskreis aufgebaut hatte und emotional gefestigt genug war, um eine neue Partnerschaft einzugehen, begann es von vorne. Das lässt sich nicht mit einem „er will dich für dich haben“ entschuldigen, wenn er dann mit mir gar nichts unternehmen möchte, sondern mich von anderen Sozialkontakten fernhält, selbst aber ständig unterwegs ist.
Mit BiBo hatte ich schon einmal das Thema „Sozialverträglichkeit von nahestehenden Menschen“, ich glaube, wir singen fast das gleiche Lied – nur in unterschiedlicher personeller Besetzung. Irgendwann geht die Lust verloren, Besuch einzuladen, wenn er doof behandelt wird – von Menschen, die man nicht vor die Tür setzen kann, weil sie hier wohnen. Es kam für mich also keine typische Clique zustande, in der sich 4-6 Paare regelmäßig zum Grillen, zu Geburtstagsfeten oder einfach so reihum einladen. Denn irgendwann wurde es den anderen stets zu doof, dass ich immer allein kam und ungern zu mir einlud.
Wie kommt’s?
Ja, ihr habt recht, wenn ihr sagt, dass ich vielleicht zu kritisch und zu wählerisch bin, was Kontakte und Freundschaften angeht. Dass ich meinen jeweiligen Partner deutlicher in seine Schranken weisen müsste. Und dass ich mich nicht wundern soll, wenn ich mich nirgendwo dazugehörig fühle. Vielleicht war ich als Kind einfach viel zu oft allein zu Hause und weiß deshalb nichts über Kontaktpflege, Freundschaft und Cliquen.
Bescheidenheit
Mir reichen in dieser Hinsicht inzwischen ganz kleine, zeitlich kurze Gruppengefühle, um zufrieden zu sein: Wenn ich gemeinsam mit anderen Eltern den Martinszug begleite, wenn ich beim jährlichen Verlagsfest einen Plausch mit anderen Autoren halte oder wenn ich im Familotel mit einer anderen Mutter mehr als einmal gemeinsam am Aquafitness-Kurs teilnehme. Ich freue mich über ein Wir-Gefühl beim gemeinsamen Spülen auf einem Campingplatz oder bei einem einzelnen gemeinsamen Rechercheausflug mit BiBo oder Aurora. Auch die enge Vertrautheit bei gemeinsamen Reisen macht mich glücklich. Ich bin aber auch froh, wenn ich danach wieder allein bin.
Hunderunde
Wenn ich mich schon vor anderthalb Jahren in einem meiner Blogbeiträge selbst als Gruppen-untauglich gezeigt habe, indem ich nicht der Gruppe der SchulkinderbisaufdenStuhlbegleit-Mütter beigetreten bin, hat dies einen guten Grund: Fast jeden Morgen laufen wir Mütter mit Hund nach dem Schul-Shuttle ursprünglich zu dritt, inzwischen manchmal sogar zu sechst vom Schulparkplatz durch die Felder und Strebergartenkolonien von Rondorf.
Obwohl wir sonst gänzlich verschiedene Lebenskonzepte haben, fühle ich mich in dieser Gemeinschaft der „Hungsmadämche“ – so nannte uns ‚mal ein Passant – sehr wohl. Wir stapfen bei jedem Wetter in wasserfesten Stiefeln durch die Felder, freuen uns an unseren Hunden und kommen am Ende stets mit Matschspritzern auf der Hose (von einem Bathida-Schüttler) oder Pfotenabdrücken auf der Jacke (von einem Lena-Hundeküsschen) an unseren Autos an. Die Lungen mit frischer Luft durchgepustet, guter Laune, dreckig und zufrieden – Hunde wie Frauchen.
Siedlung
Ich lebe in einer Kleinsiedlung, die Anfang der 1950er Jahre gebaut wurde. Alle bauten gemeinsam. Wer mauern konnte, mauerte in allen Häusern, gleiches galt für Estrichleger, Zimmerleute, Dachdecker, Klempner, Schlosser und Elektriker. Jeder kannte jeden, jeder half jedem. Bis in die 1980er Jahre hinein hatte die Siedlergemeinschaft Bestand. Wir sammelten für Kindstaufen, Goldene Hochzeiten und Beerdigungskränze. Nach und nach starben die eigentlichen Siedler, in ihre Häuser zogen Fremde – oft nach bösen Erbauseinandersetzungen der Kinder. Es war keine Siedlung mehr, sondern nur noch ein Stadtgebiet, in dem alle Straßen nach Dichtern benannt sind. Keiner kannte keinen, jeder wurschtelte für sich.
Doch seit einigen Jahren bemerke ich eine Veränderung. Ich bin ja für unsere Straße die inoffizielle Packstation, komme daher beim Abholen der Pakete mit einigen unserer Nachbarn ins Gespräch. Diana in der nächsten Straße kennt viele andere Nachbarn, sie kennt viele der Kinder am anderen Ende der Siedlung. Sie hat auch die Tradition des Sammelns für Todesfälle wieder aufgegriffen. Dies wiederum macht die Altsiedler sehr glücklich.
Was Kindern, Eltern und Altsiedlern in diesem Jahr gleichermaßen Spass gemacht hat, waren zwei Beutezüge: Halloween zogen wir von Haus zu Haus und drohten „Süßes, sonst gibt es Saures!“ Die Kinder wurden reich beschenkt, denn wir drohten damit, am darauffolgenden Freitag wieder zu kommen, mit Laternen und – noch schlimmer – laut singend! Mehr als einmal hörten wir „Hach, wie schön, dass es wieder Kinder in der Siedlung gibt“ und „Letztes Jahr habe ich an Halloween UND Martin vergeblich auf Kinder gewartet!“ Eine Siedlerin, der ein paar Tage zuvor der Sohn gestorben war, umarmte mich mit einem dankbaren „Ich hatte schon gedacht, dass sich gar keiner zu mir traut!“ Was eine Gruppe von sechs Kindern und vier Erwachsenen auslösen kann! Obwohl ich den Halloween-Brauch selbst nicht besonders schätze, gaben wir diese beiden Abende ein unerwartetes Gemeinschaftsgefühl.
Und jetzt?
Vielleicht bin ich nicht besonders teamfähig, was dazu führt, dass ich oft eigene Wege beschreite oder zu große Nähe meide. Ich habe mich inzwischen damit arrangiert, werde aber die vielen traurigen Momente in meinem Leben nicht vergessen, in denen ich meinen rechten (!) Arm dafür gegeben hätte, zu einer großen Familie, zu einer Clique oder zu einer anderen Gruppe so richtig dazu zu gehören.
Wichtig ist mir aber, dass ich mir dies bewusst gemacht habe, um meinen Töchtern beistehen zu können, wenn sie in eine ähnliche Lage kommen.
So wie vor gut einer Woche: Cari brachte aus ihrer Kindergartengruppe einen Virus mit, der sie 24 Stunden erbrechen und weitere 24 Stunden fiebern ließ. Nele hängte sich um drei Stunden versetzt mit den gleichen Symptomen an. Oma und Mama kämpften auch mit den Wellen, zum Glück aber nicht so heftig. Entsprechend ließ ich die Kleinen am Freitag daheim und informierte Aurelias Lehrer, damit sie frühzeitig bei den ersten Symptomen anriefen, um sie abzuholen. Aurelia blieb gesund. Sie schaute am Samstagmorgen mit einem unerklärlichen Gesichtsausdruck in grünliche, gräuliche und blasse Gesichter, als sie mit Papa zum Schwimmen startete. Kaum war sie zurück, nahm sie einen Eimer und spuckte zweimal hinein. So wie man einen Kaugummi ausspuckt. Kurz und ohne Würgen. Den Eimer drehte sie über der Toilette um und sagte uns: „Jetzt haben wir es alle. Ich habe auch gespuckt!“ Nein, sie ist keine Simulantin. Sie möchte nur dazu gehören. Selbst wenn das bedeutet, die grade erst nach dem Schwimmbad gekauften Chips beiseite zu legen und gemeinsam mit uns Zwieback zu knuspern. Und es kam, wie es kommen musste: durch das viele Schmusen mit den kleinen Schwestern „konnte“ sie dann am Samstagabend auch virusbedingt spucken. Kein Wort der Klage kam über ihre Lippen, sie hatte ja quasi schon darauf gewartet. Dabeisein war in diesem Fall wirklich alles.
Liebe Ingrid,
das ist aber ein etwas traurig stimmender, sehr ehrlicher Beitrag von dir und über dich. Wir kennen uns noch nicht so gut, aber ich kann dir sagen, dass ich die gemeinsamen Ausflüge mit dir genossen habe und ich dich nicht als Einzelgängerin eingeschätzt habe.
Aus meiner Jugendzeit kenne ich aber auch das Gefühl, nicht dazu zu gehören – es aber in diesem Moment auch nicht zu wollen, z.B. bei Parties oder Raucherklübchen.
Wie du dem Kind geholfen hast und dich um das Häufchen Elend gekümmert hast, zeigt doch, dass du ein großes Einfühlungsvermögen besitzt und in diesem Moment die wichtigste Person weit und breit warst!
Alles Liebe
Aurora
Oh, liebe Aurora, danke für dein Mitgefühl und deine netten Worte. Ich wollte dich nicht traurig stimmen. Et is, wie et is, sacht dr Kölsche. Ich kann meine Vergangenheit nicht ändern, nur für die Zukunft daraus lernen und mich in der Gegenwart damit arrangieren.
Ich habe gerade überlegt, ob ich in meinem eigenen Blog etwas dazu schreibe, aber nee. Wir können uns gerne mal zum Kaffee treffen und unsere diesbezüglichen Erlebnisse austauschen.
Dazu gehören ist für mich auch ein Fremdwort und ich glaube, so etwas wird in früher Kindheit angelegt.
Ich war Einzelkind in einer Zeit in der alle etliche Geschwister hatten, mein Vater auch schon. Mütterlicherseits gab es viel Familie, aber wegen der „Sozialverträglichkeit“ schwankend. Immerhin wurden die Kinder schon mal ausgetauscht und wenn eine größere Feier anstand, saßen wir alle auf einem Haufen.
Ich habe das erste Schuljahr im Bett verbracht und kam dann gleich ins zweite. Mit körperlichem Rückstand und geistigem Vorsprung. Das machte mich bis kurz vorm Abi zum geborenen Opfer. Schulsport ist Mord kann ich dazu nur sagen.
Im Reitstall hatte ich meinen persönlichen Schutzbereich und im Urlaub auf dem Bauernhof, wenn sehr unterschiedliche Kinder zusammenkamen gehörte ich dann auch mal dazu.
Nach der 10. Klasse ging es eigentlich. Nach einer Englandreise hatte ich eine feine Clique gefunden, bei der nicht drauf geguckt wurde, ob jemand gut turnen kann oder nicht raucht.
Und sonst so? Bis heute betrachte ich Gruppendynamiken sehr distanziert. Ich war ein paar mal mit Reisegruppen unterwegs. Von grottenschlecht bis super. Paddler sind pflegeleicht. Das sind dann so Kurzzeit-Gemeinschaften, die ich auch schätzen kann. (Nehme aber trotzdem mein eigenes Zelt mit)
Bookcrosser sind toll und ich genieße die monatlichen Treffen und habe dort auch Freunde gefunden, die leider ziemlich weit auseinander leben.
Aikido läuft ja schon unter der Vorgabe, dass jeder mit jedem übt. Meistens ist es so, dass man zusammen kommt, miteinander übt und dann wieder auseinander rennt. Manchmal gibt es aber auch Dojo-Party.
Es ist immer noch so, dass ich mich in kleinen Gruppen wohler fühle, als in großen. Während manche beklagen, dass wir so wenige sind im Dojo, finde ich gerade die Stunden gut, in denen nur drei oder vier Leute auf der Matte stehen, was einem intensiven Einzelunterricht nahe kommt.
Danke, liebe BiBo, für deine offenen Worte.
Und schon wieder das Gefühl: „kenn ich“ wenn auch anders.
Am Tag nach meinem 6. Geburtstag sind wir an den linken unteren Niederrhein gezogen, die nierderländische Grenze faktisch in Sichtweite (mein Vater war Zollbeamter) unter 1km. Meine Mutter soll bei einem der ersten Besichtigungen gesagt haben „bis zur Silberhochzeit bleibe ich aber nicht hier“ (Goldhochzeit war vor 4 Jahren). Sie war in einer Bergarbeitersiedlung aufgewachsen und in Dortmund in die Lehre gegangen und dann DAS.
In der Zollsiedlung gab es zwar auch Kinder aber nicht direkt in meinem Alter und alles nur Jungs.
Dann wurde ich eingeschult im Nachbarort, ca 6 km mit dem Schulbus der um kurz nach 7 fuhr. In der Klasse kamen 90% aus dem Nachbarort, Freundschaften zu schliessen war schwierig, aber ich traf mich immer wieder mit der Försterstochter die nur eine Bushaltestelle weiter wohnte und bis da gab es sogar einen Radweg.
Landleben war klasse aber alles war auch weit. Wir hatten eine schöne Kindheit, aber waren halt auch auf die 4 Zollhäuser beschränkt. Es gab zwar auch noch andere Nachbarn aber die Gegend ist katholisch und wir waren es nicht . Das wurde auch nicht imit dem Wechsel aufs Gymnasium besser, denn der Schulweg war noch weiter. Als wir älter waren durften wir Nachmittags zwar auch mit dem Rad in die Stadt fahren, aber vor Einbruch der Dunkelheit mussten wir zurücksein, denn es waren 15 km und damals größtenteils ohne Radweg, geschweigedenn Laternen.
Unabhängig davon war/bin ich auch nicht seh kontaktfreudig, die meisten Freundschaften enstanden dann auch eher zufällig. Wie mit Beate die ich auf einer Jugendfreizeit in Shrewsbury kennenlernte oder Cornelia, die jüngste Tochter unseres Pfarrers. Cornelia kannte ich zwar schon lange aber erst als ich alleine nach England in die Ferien wollte, was meine Eltern nicht wollten, wurde der KOntakt zur Freundschaft, denn zusammen durften wir los.
Diese beiden Freundschaften bestehen nun schon seit über 30 Jahren und bedürfen auch keiner großen Pflege, sie funktionieren auch auf große Entfernung und lange Unterbrechungen.
Während des Studiums hatte ich ich viele Kontakte von denen ich nur die wenigsten als Freundschaften bezeichnen würde. Durch meine lange Abwesenheit von Braunschweig, erst lebte ich 5 Jahre in Berlin und dann war ich beruflich fast immer in Bonn, hat sich danach auch nicht wirklich was ergeben. In Bonn habe ich dann aber auch Dich kennengelernt, was ein extremer Gewinn dieser Zeit war!!! Ich fand es sehr schade das ihr nicht mehr kommen konntet. Aber aus den schon von Dir genannten Gründen, kam auch ein Besuch bei Dir zuhause nur selten in Frage.
Jetzt bin ich zwar so gut wie gar nicht unterwegs, aber KOllegen habe ich quasi auch nicht, da sie in Bonn, München und Nürnberg sitzen. Kontakte neu zu knüpfen, die auch substantiell sind, ist schwierig. Früher war ich viel am Tierheim aber a) fehlt mir die Zeit da wir an den Wochenende eher wandern sind b) kam ich mit der Mentalität einiger dort nicht zurrecht, denn ich ging hin weil ich spass dara hatte und nicht weil ich „groß“ was erreichen wollte. Einige der Stammgassigänger fingen an Ansprüche zu stellen mit welchen Hund sie gehen und mit welchem nicht.
Fazit: Ich habe Kontakt zu ein paar Freunden die aber alle weit weg (Sonsbeck, Wenningsen, Hürth und Berlin,), habe guten Kontakt zu meinen Kollegen aber auch nur von Ferne, wir treffen uns einmal im Monat mit Freunden zum Essen. Thats It. Ich bin noch im SPD Ortsvereinsvorstand und Mitglied im „Haus der Kulturen“, hier aber ohne weitergehend aktiv zu sein.
Sorry für’s kapern aber evtl gibt es Dir eine Art Trost, ich weis nicht ob es wirlich die Menschen gibt die „high life“ haben. Ich wünschte mir ein paar mehr Kontakte, aber wie bei Dir will ich einfach nicht reinpassen.
PS die FEK ist mir auch negativ aufgefallen als ich mal mit einem Studienkollegen „angebandelt“ hatte der dort aktiv war… heute lässt der sehr AFD-nahe Sprüche auch FB los!!!!
Uih, wie ausführlich, vielen Dank! Ich empfinde es nicht als Kapern, im Gegenteil!
Die Verbindung FEG und AFD hatte ich bislang noch nicht gesehen, aber stimmt auch hier genau. Danke fürs Augenöffnen.