„Kinder in deinem Alter schlafen schon längst“ ins Zimmer brummeln, die Hand zum Gruß heben und selbst ins Bett gehen, das mag eine Einschlaflösung für Väter sein.
Leider bin ich Mutter.
In den vergangenen knapp fünf Jahren seit der Geburt von Aurelia habe ich keine Nacht so lange geschlafen, wie ich wollte. Eigentlich (ich liebe dieses Wort) brauche ich nämlich acht Stunden Schlaf am Stück. Kluge Tipps der Marke „Schlaf doch, wenn die Kinder schlafen!“ kommen ausschließlich von Männern und kinderlosen Frauen. Mütter wissen, dass das nicht funktioniert. Erstes Problem: Die Kinder schlafen nicht zur selben Zeit. Zweites Problem: Wenn die Kinder schlafen, habe ich 100 andere Dinge zu erledigen. Mein Umfeld wird wenig Verständnis dafür haben, wenn ich – in konsequenter Fortführung dieses Tipps auch nur putze, wenn die Kinder putzen und Überweisungen schreibe, wenn die Kinder Überweisungen schreiben und Rasen mähe, wenn die Kinder Rasen mähen.
Ich habe mich mit dieser Situation inzwischen mit mehreren Seufzern der Resignation arrangiert und hoffe auf eine frühe Pubertät meiner Mädels. Nach meiner Erfahrung als Betreuerin in Kinder- und Jugendfreizeiten ist das ein wesentlicher Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen.
Erwachsene (und auch schon Jugendliche) schlafen gerne.
Kinder nicht.
Sie könnten ja etwas verpassen. Oder sind zu aufgedreht. Oder sind übermüdet. Oder wollen lieber singen. Oder zahnen. Oder fiebern. Oder haben Durst. Oder haben Hunger. Oder die Windel ist voll und stinkt. Oder haben einen Albtraum. Oder müssen noch dringend ein Erlebnis erzählen. Oder müssen Pipi. Oder werden von den Schwestern geweckt. Oder werden durch den Hund geweckt. Oder werden durch einen nächtlichen Anruf geweckt. Oder erschrecken bei einem Allergie-Nießanfall der Mama im Nebenraum. Oder frieren. Oder schwitzen – so wie in den letzten drei Nächten.
Eine lange Zeit habe ich mich vom Kindsvater, von meiner Mutter und von etlichen Außenstehenden jeck machen lassen mit dem Hinweis darauf, dass Babys und Kleinkinder um 19 Uhr schlafen gelegt werden und dies spätestens um 19:30 Uhr auch tun. Meine leider nicht. Ich habe ein halbes Dutzend kluge Bücher zum Thema Einschlafen gelesen. Leider können meine Töchter noch nicht lesen und halten sich nicht an das, was in den Büchern steht. Sie sind einfach zu dieser Zeit nicht müde.
Untätig war ich nicht, aber erfolglos. Bei Neugeborenen, bei Säuglingen, bei Kleinstkindern, beim Kleinkind. Und zwar mit folgenden Methoden, die mir jeweils als einzig korrekter Weg zum Schlaf meines Kindes angeraten wurden:
- Kühler Schlafplatz
- Wohligwarmer Schlafplatz
- Schlafsack, auch im Sommer
- Bloß kein Schlafsack!
- Pucken
- Kuscheltuch mit Mamageruch
- Schnuller
- Bloß kein Schnuller!
- Eigenes Bett
- Familienbett
- Geschwisterbett
- Mamas Bett
- Omas Bett
- Leise Hintergrundmusik, Klassik
- Leise Hintergrundmusik, Schlaflieder
- Bloß keine Musik!
- Selber Schlaflied singen
- Um Gottes Willen! Hast du dich schon ‚mal singen gehört?!
- Summen
- Vorlesen
- Erzählen
- gemeinsames Gebet
- Lavendelöl
- Vor dem Zubettgehen baden
- Bloß nichts so Aufregendes wie Baden!
- Massieren
- Kraulen
- Streicheln
- in der Babytrage tragen
- Bauchlage
- Rückenlage
- Seitenlage
- Gedimmtes Licht
- Bloß kein Licht!
- Gutenachtkuss und Zimmer verlassen
- Bloß nicht beim Einschlafen allein lassen!
- Im Arm halten
- Nur am Arm berühren
- Bloß nicht berühren!
- Herumtragen bis die Arme abzufallen drohen
- Kinderwagen in der Wohnung hin und her schieben
- Buggy draußen schieben (einmal mit Polizeiansprache nachts um 3 Uhr im Nieselregen)
- Nächtliche Autofahrt
- Einzeln ins Bett bringen
- erst die Babys, dann die Große ins Bett brignen
- erst die Große, dann die Babys ins Bett bringen
- alle gemeinsam ins Bett bringen
- Globuli
- tagsüber möglichst viel Schlaf ermöglichen
- bloß nicht so viel Schlaf tagsüber
- in den Schlaf stillen
- bloß kein Einschlafstillen!
- letzte Flasche eine Stunde vor dem Zubettgehen
- Schmelzflocken in die letzte Flasche
- lass sie doch einfach mit der letzten Flasche einschlafen
- Spieluhr
- Kuscheltier
- Bloß kein Spielzeug im Bett!
- Immer zu exakt derselben Zeit ins Bett bringen
- Beim ersten Gähnen/Augenreiben/Kopfwegdrehen ins Bett bringen
- Schwingsystem fürs Babybett
- Federwiege
Diese Aufzählung ist nicht abschließend, aber zeigt euch meinen guten Willen. Einiges ist schon allein wegen unserer vielen auswärtigen Übernachtungen bei Recherchereisen nicht praktikabel, denkt ihr jetzt. Stimmt, ich habe es aber trotzdem in den langen Perioden ausprobiert, in denen wir zuhause waren.
Gewisse Teilerfolge konnte ich mit der Federwiege erreichen. Als die Zwillinge drei bis zwölf Monate alt waren, konnte ich sie abends gegen 20 Uhr zeitgleich dort hinein legen, „Gute Nacht, schlaf gut, ich hab dich lieb!“, Flasche in den Hals und Nele schlief ein. Und zwar, weil Cari so zappelte, dass sie ihre Schwester in den Schlaf wiegte. Nun hatte ich Zeit für die Große: Zähne putzen, Schlafanzug, zwei Bücher, massieren, kuscheln und Einschlafen war unser Ritual. War Nele dann eingeschlafen oder begann Cari zu weinen, nahm ich sie heraus und versuchte es eine Stunde später wieder. Das klappte genauso oft, wie es nicht klappte. Die Federwiege reiste mit uns nach Nordstrand, in die Schweiz, nach Italien und in die Eifel und wurde dort an Haken, Türzargen und Bäumen befestigt. Sie wurden alle drei nachts zwar trotzdem wach, aber ich hatte zumindest ein grobes System und sehr oft das Glück, dass zumindest zwei gleichzeitig schliefen, ich also Zeit hatte, mich um die dritte zu kümmern. Als die Zwillinge sich aber auch nachts selbst hinsetzten und Cari einmal schon aus der Federwiege in meine Arme gekletterpurzelt war, wusste ich, dass die schöne Zeit der einfachen Lösung vorbei war.
Silke kennt die aktuelle Situation: Tagsüber wird jede gleichmäßige Bewegung im Buggy, Fahrradanhänger, Babytrage oder Auto zum Schlafen genutzt. Unabhängig davon, ob man dann eine oder sechs Stunden geschlafen hat, besteht wenig Bedarf an Nachtschlaf. Aurelia fragt gegen 20:30 bis 21 Uhr, ob ich sie ins Bett bringen kann, weil sie müde ist. Manchmal an Tagen mit viel Action sogar schon um 19 Uhr. Zu dieser Zeit sind die Kleinen aber noch topfit. Wenn ich Hilfe habe, kann ich die Große bringen, ansonsten muss sie allein einschlafen, was sie aber gar nicht schön findet. Nele wird etwa eine Stunde später bettschwer, Cari niemals vor 23 Uhr. An heißen Tagen wie in dieser Woche kann sich das Ganze auch gerne ‚mal um ein bis zwei Stunden nach hinten verschieben. Wir sind deshalb schon im Juni zum Schlafen vom Dachgeschoss ins Erdgeschoss gezogen.
Ich habe entschieden, meine Mädels abends nicht in den Schlaf zu zwingen. Das ist ein für mich unerträglicher Stress und führt zu nichts – außer zu weinenden Kindern und einer vollkommen entnervten Mutter. Jede darf nun ins Bett gehen, wann sie will und ich beschränke mich darauf, die wachen Mäuse davon abzuhalten, die einschlafenden aufzumischen oder zu wecken. Dafür gibt es in der Fachwelt bestimmt auch einen Fachbegriff wie „selbstbestimmt schlafen“ oder so. Ist mir egal. Ich lese keine Schlaferziehungsbücher mehr. Denn meine Töchter halten sich ohnehin nicht an das, was darin geschrieben steht. Sie dürfen schlafen, wann sie Schlaf brauchen. Diese Zeilen schreibe ich um 23:43 Uhr mit zwei schlafenden Kindern im Nebenraum und einer langsam müde werdenden Maus auf dem Schoß. Ich kann ganz entspannt abwarten, ob sie einschläft, bevor oder nachdem ich diesen Beitrag fertig getippt habe.
Fakt ist doch, dass es Kinder mit unterschiedlichem Schlafbedürfnis und Schlafrhythmus gibt. Ich habe eine unglückliche Mischung erwischt. Cari, die Nachteule, kommt abends nicht rein und morgens nicht raus aus dem Bett. Nele, die Frühaufsteher-Lerche, wird oft schon um 5 Uhr wach. Das wäre eine schöne Zeit für mich zum Aufstehen, wenn alle drei durchschlafen würden. Tun sie aber nicht.
Ich merke aber ungefähr seit einem Jahr an der Großen, dass ihr das Einschlafen immer leichter fällt. Entsprechend wächst in mir die Überzeugung, dass Kinder das Schlafen gar nicht unbedingt erlernen müssen.
Sie reifen zu schlafenden Menschen heran.
So wie sie auch zu laufenden, sprechenden und Toiletten benutzenden Menschen heranreifen. In 15 Jahren wird keine der drei mehr meine Hilfe beim Einschlafen benötigen. Keiner wird mehr wissen wollen, wann sie das erste Mal durchgeschlafen haben. Dann schlafen sie alle durch, benötigen keine Windel mehr, können krabbeln, laufen, sprechen, haben Zähne und Haare.
DAS wäre für mich der blanke Horror. Schlafenentzug ist nicht ohne Grund eine der grausamsten Foltermethoden. Sicher gibt es es jetzt „Fachleute“ die sagen, „bei eigenen Kindern ist das anders“ aber spätestens wenn ich Deinen „Erfahrungsbericht“ hier lese (und einiges hattest Du mir ja berichtet und ich hab es auch miterlebt) weis ich, das der liebe Gott gut daran getan hat, mir keine Kinder zu schenken. Ich nehme sie gerne wenn sie stinken, schreien oder gefüttert werden sollen aber nur wenn ich selber ausgeschlafen bin.
In der Tat ist Schlafentzug sogar eine von der UNO anerkannte Foltermethode. Das macht meine Lage nicht erträglicher, aber bestätigt dich in deinem Gefühl.
Ich bin fest entschlossen, meine bis dahin sicherlich bestehende Senile Bettflucht zu nutzen, um in 15 oder 20 Jahren morgens um fünf Uhr in die Zimmer meiner Kinder zu stürmen/humpeln und mich unter größtem Gejohle/Krächzen auf deren Bauch, Bein oder Rücken zu setzen und mit dem Finger in ein Nasenloch zu gehen oder in ein Auge zu pieken – so wie sie es bei mir machen, wenn ich schlafe.
Ich feiere Deine Top62
Federwiege war bei meiner grossen Tochter auch das Mittel zur Wahl.
Allerdings nur, wenn mein Iphone 5 nebenan „weisses Rauschen“ abgespielt hat – auf höchster Lautstärke und die Wiege permanent in Bewegung war.
Mit meinem alten Iphone 4 hat es nicht geklappt, ohne Mist.
Dann hat sie aber tatsächlich auch nur exakt 30 Minuten geschlafen -keine Minute länger.
Heute lache ich drüber… damals eher nicht so.
Ich blicke jetzt auf 4 Jahre gestörten Schlaf zurück und weichgezeichnet rückblickend muss ich sagen: So schlimm war es gar nicht wie ich heulenderweise Nachts um 3 behauptet habe.
Oh, dann besteht ja noch Hoffnung, also muss ich „nur“ noch zwei Jahre Geduld haben *grummel*